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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

 Gedenkbuch Seiten 100 - 109

BERGMANN, Julie, geb. Steiner,

Bronnerstraße 2

 

KARL  NEIDLINGER

Julie „Julia“ Bergmann, geb. Steiner, geb. 18. 8. 1896, Laupheim, gest. 7.4.1972 New York, begraben in Laupheim, OO Willy Bergmann, geb. 27.1.1890, Laupheim, gest. 21.10. 1925, München,
 Ernst Leopold Bergmann,„Ernest L. Bergman, geb. 12.7.1922, München, verstarb am 15.08.2020 in State College PA USA.
 Willy Josef Bergmann, geb. 25.5.1925 in Laupheim. Verstarb am 15.12.2012, in Silver Spring MD USA.
Emigration der Familie zwischen 1936 und 1938 nach CH/St. Gallen, 1946 in die USA.

  

Willy, der jüngste Sohn Josef Bergmanns, absolvierte nach der Realschule eine Lehre bei der Getreide-Großhandelsfirma Nathan in Ulm. Er stieg also nicht in das Haarveredlungsgeschäft ein, denn gemäß Vereinbarung sollten nur je zwei Söhne der Firmengründer als Nachfolger eintreten und Willy war der dritte Sohn Josef Bergmanns. Die Firma Nathan schickte ihn nach der Ausbildung nach London, wo er für die Firma an der dortigen Getreidebörse tätig war. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erzwang seine vorzeitige Rückkehr, worüber er gar nicht glücklich war. Mit der allerletzten Fähre kam er nach Deutschland zurück, um schon am 3. August 1914 als Reservist zu Felde zu ziehen. Während des Krieges, den er die ganze Zeit aktiv mitmachte, war er an der Westfront und in Mazedonien eingesetzt, er wurde verwundet und mehrfach ausgezeichnet.

Nach dem Krieg begann Willy eine Zweitausbildung an einer Textilschule in Reutlingen. 1921 verheiratete er sich mit Julie Steiner aus der angesehenen Laupheimer Steiner-Familie. Diesem Anlass ist das Hochzeitsfoto auf der übernächsten Seite zu verdanken, das die Bergmann-Großfamilie fast vollständig versammelt vor demOchsen zeigt. Das junge Paar zog nach München, wo Willy eine selbstständige Vertriebsgesellschaft für die Haarprodukte der väterlichen Firma eröffnete.

Julie Steiner war das erste Kind von Gerbereibesitzer Simon Leopold Steiner und seiner Frau Melanie geb. Herz. Ihre Kindheit und Jugend verlief glücklich und harmonisch und steht damit im krassen Gegensatz zu der von harten Schicksalsschlägen sowie schlimmen Geschehnissen gekennzeichneten späteren Lebenszeit.

Als Schülerin konnte sie als eine der ersten von den beginnenden Gleichberechtigungs-Fortschritten profitieren. Seit 1905 konnten in Laupheim erstmals auch Mädchen einen höheren Bildungsweg einschlagen und durften in die Latein- und Realschule eintreten. Zum zweiten, 1906 eingetretenen Jahrgang, in dem es Mädchen gab, gehörte Julie Steiner. Leistungsmäßig stand sie an der Spitze ihres Jahrgangs. Sie lernte Klavier spielen und an einem musikalischen Purim-Abend im „Kronprinz“ trug sie gemeinsam mit ihrem Vater vierhändig die Ouvertüre zuFigaros Hochzeit“ vor. Nach der Mittleren Reife besuchte sie die Schule im Internat der Englischen Fräuleins in Wallerstein bei Nördlingen, vermutlich bis zum Abitur, falls dieses nicht schon dem ausbrechenden Ersten Weltkrieg zum Opfer fiel. Ein Studium konnte sie wegen des Krieges nicht mehr antreten.

 1903: Erster Schultag von Julie Steiner (weißes Kleid). Links: Julius Regensteiner, rechts: Selma Bernheimer und Fritz Kaufmann.

Nach der Heirat im April 1921 zog das junge Paar nach München, wo 1922 der erste Sohn Ernst Leopold und im Mai 1925 der zweite Sohn Franz Josef zur Welt kam. Im Oktober 1925 starb Willy Bergmann auf tragische Weise durch einen Autounfall: Ein betrunkener Autofahrer, der eine Hofeinfahrt verfehlte, quetschte den auf dem Gehsteig befindlichen jungen Familienvater gegen eine Hauswand. Er erlag kurz darauf im Krankenhaus seinen Verletzungen durch eine Embolie. Willy Bergmann wurde auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim beigesetzt. Zum Andenken an den verunglückten Vater wurde der Name des jüngeren Sohnes darauf in Willy umgeändert.

 

1922: Bronner Straße 2 mit Schloss Großlaupheim,

Einfahrt zum Stall und Stadel, rechts: Haus von H. Rupf und Wyse“.

Die Witwe Julie Bergmann kehrte mit ihren zwei kleinen Kindern nun auch nach Laupheim zurück, wo sie in ihrem Elternhaus in der Bronner Straße wieder aufgenommen wurden. Die Bergmann-Großfamilie fühlte sich irgendwie nicht so zuständig für die Unterstützung der drei eine Zurücksetzung oder Verletzung, die beim älteren Sohn Ernest Bergman heute noch nachwirkt: Er, der durch die Gerber-Steiner-Familie in den folgenden Jahren Heimat und Prägung erhielt und sich deswegen stets mehr als Steiner denn als Bergmann sah, empfindet es als historische Ironie, wenn er heute bei seinen Laupheim-Besuchen als Repräsentant und Sproß der großen Bergmann-Familie willkommen geheißen wird!

 


Hochzeit von Willy Bergmann mit Julie Steiner im Ochsen in Laupheim, 1921
Oberste Reihe: Gretel Gideon, Karl Bergmann, Lotte Stern, Benno Nördlinger, Hilde Bergmann, „Henny und Max Bergmann.
2. Reihe: Friedel und Max Biedermann, Helmut Steiner, Flora und Uhl Stern, das Brautpaar, Hugo  und  Clara  Hofheimer, Kindermädchen mit  Martha  Hofheimer, Theodor Bergmann.
3. Reihe: Onkel Rosengart, Emma Gideon, Lina Bergmann, Simon und Melanie Steiner, Friederike und Josef Bergmann, Thekla Bergmann.
Kinder, von links: Helene Hofheimer, Hans Bergmann, Ilse Bergmann, Liesel Hofheimer, Fritz Hofheimer, Trudel Bergmann.

 

Ernest L Bergmans Erinnerungen

Vor einigen Jahren hat Ernest L Bergman seine Kindheitserinnerungen an Laupheim zu Papier gebracht. Die wichtigsten Passagen daraus verdienen, im Wortlaut wiedergegeben zu werden.

 

Gerber Steiners Landauer im Bastelwald, September 1927.

 

Das Zusammenleben von Christen und Juden in den 20er Jahren:

„Laupheim war zu jener Zeit eine Oberamtsstadt mit etwa 5000 Einwohnern und zwei Schlössern. Christen und Juden wohnten nebeneinander, man kannte sich, und jeder wusste, wo der andere wohnte. Man arbeitete, feierte und trauerte zusammen, und jeder besuchte zur gegebenen Zeit das Gotteshaus seines Glaubens. An den höchsten Feiertagen der verschiedenen Religionen besuchten höhere Instanzen gegenseitig des anderen Gottesdienst, wie zum Beispiel an Weihnachten oder am jüdischen Neujahr. An Fronleichnam war es eine große Freude, die wunderschönen Blumenteppiche zu sehen, an Primizen war das Pferdegespann mit dem Landauer meines Großvaters immer dabei, und fast jeden Sonntagmorgen bestieg mein Großvater den Turm der Synagoge, um das Uhrwerk aufzuziehen, denn die halbstündlich schlagende Synagogenuhr war die genaue Zeit, nach der sich die Kirchenuhren der Stadt richteten.“
 

 

Großvaters 70. Geburtstag: 18. Juni 1934. Der ganze Viehbestand kam mit aufs Foto.

 

Heuen beim Rindenstadel 1929. Auf dem Pferd Ernst Bergmann,

rechts: Simon Steiner, Willy Bergmann, zwei Hilfen.

 

Es war keine Notlösung oder sogar Zufall, dass der junge Ernst Bergmann nach seiner Emigration in die Schweiz dort zunächst eine landwirtschaftslehre absolvierte. Sein Großvater Simon Steiner war nicht der einzige Laupheimer Jude, der neben seinem Ge- werbe, in diesem Fall der Gerberei,eine für damalige Verhältnisse durchaus ansehnliche Landwirtschaft betrieb und Grundbesitz hatte. Das hat die Kindheit und die Person Ernst Bergmanns maßgeblich geprägt, so dass der Lehrer Zepf in der Latein- und Realschule ihn als „das Judenbäuerle vom Grund“ verspotten konnte:

 

Mein  Großvater hatte immer zwei Pferde, da man sie für die Gerberei brauchte und dann hatten wir auch sechs Kühe und etwa 25 Morgen Land. Schon zu jener Zeit war ich sehr an der Landwirtschaft interessiert, rannte mit Jungtieren im Hof herum, was mir später den Ruf als das ,Judenbäuerle vom Grund’ einbrachte. Auch half ich oft bei der Feldarbeit. Einmal durfte ich mit dem Gespann zwei Heuwagen in das Vorholz mitnehmen, aber oha, an der Jahneiche in der Kapellenstraße wollten die Ochsen, die wir zu jener Zeit hatten, in die Ulmer Straße einbiegen, wo man hie und da am Morgen Gras für die Kühe holte. Ein guter Mann half mir dann, das Gespann wieder in die richtige Fahrbahn zu bringen, und ich landete mit einiger Verspätung gut im Vorholz. Aber das war das Ende meiner Kutschiererei. Das Schönste am Heuen und Ernten war natürlich das Vespern und es war für mich immer eine große Freude, wenn ich zu den verschiedenen  Metzgern fahren durfte und die nötigen Fleischwaren zum Vespern kaufen konnte.
Im Sommer fuhren wir oft mit dem Gespann in den Bastelwald und in die Holzstöcke, um Rinde für die Gerberei zu inspizieren, was ich immer sehr genoss, besonders aber das ,Einkehren’. Auch bewunderte ich dort immer das Blühen der wunderschönen wilden Lupinen. Oft gingen wir mit dem Fahrrad zum Schwimmen an die Hammermühle und die Äußere Mühle oder sogar nach Stetten oder die Mönchhöfe, wo ich allerdings Angst vor den Wasserratten hatte.“

Großvater Simon Leopold Steiner, genannt Gerberle“, wurde zu einer Art Ersatzvater des Halbwaisen Ernst Leopold, was dazu führte, dass er eine sehr religiöse Erziehung erhielt. Dies war in der Großfamilie Bergmann eher die Ausnahme, denn die anderen Familien waren doch schon sehr verweltlicht und hielten auch die jüdischen Gesetze und Feiertage kaum mehr ein. Und ganz selbstverständlich wurde natürlich auch auf die religiösen Gebräuche der christlichen Hausangestellten geachtet, so dass es freitags bei Gerber Steiners nie Fleisch gab!

 Simon Steiner an seinem Schreibtisch, 1935.

„Meines Großvaters Haus war der Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde, war er doch 35 Jahre lang Präsident der jüdischen Gemeinde Laupheim. Rabbiner, Kantoren und Lehrer gingen ein und aus. Neben der Gerberei waren die Synagoge und der sehr schön gehaltene Friedhof die größten Sorgen meines Großvaters. Alle jüdischen Feiertage wurden eingehalten und der Haushalt strikt nach den religiösen Gesetzen geführt. Wir hatten nie Fleisch am Freitag in Rücksicht auf unsere nichtjüdischen Haushaltshilfen.“

 

Wie alle Laupheimer Juden sahen sich auch die Gerber-Steiners als gute Deutsche und waren daher besonders bestürzt, dass sie nach Hitlers Machtergreifung immer mehr aus dem deutschen Volk ausgeschlossen werden sollten. Ernest Bergman erinnert sich an eine Szene in der Synagoge, die sich jedes Jahr zu Pesach wiederholte, wenn er mit seinem Großvater im Gottesdienst war: 

 

„Wir waren ja immer mehr Deutsche, und zum Beispiel an Ostern, am jüdischen Pesach, da liest man in der Haggada: ,Das nächste Jahr in Jerusalem!’ und mein Großvater hat geflüstert, jedes Jahr: ,Das sagen wir nicht! Wir sind Deutsche!’ Obwohl er Gemeindepräsident und alles Leben bei uns im Haus jüdisch war. (. . .) Aber dies alles änderte sich schnell 1933, als Hitler an die Macht kam und mit ihm wechselte das ganze politische Klima in Deutschland. Am 1. April 1933 erschienen SA-Leute vor den jüdischen Geschäften mit Tafeln, um die Bevölkerung aufzufordern, diese zu boykottieren.  So einer stand auch vor der Gerberei.“

 

Im April 1933 konnte Ernst Bergmann in die Realschule mit Lateinabteilung überwechseln, was zu dieser Zeit mit einer Ausnahmegenehmigung noch möglich war: Kinder von Weltkriegsteilnehmern wurde noch erlaubt, weiterführende Schulen zubesuchen. An antisemitisch eingestellte Lehrer oder Mitschüler kann er sich nicht erinnern. Von den 13 Schülern seiner Klasse, die aus sämtlichen Laupheimer Grundschulen, sowohl der katholischen, der evangelischen und der jüdischen zusammenkamen, waren drei Juden: Ruth Friedland, Heinz Bach und er:

„Das war das erste Mal, dass wir (. . .) zusammengekommen sind. Und da haben wir schon Schwierigkeiten gehabt, um einander zu verstehen. Aber, was die Klasse betrifft, die waren alle sehr anständig. (. . .) Dass man hier jemand von der Klasse verschlagen hätte  oder  so weiter, das ist bei mir nie vorgekommen.“

 

Doch von außen wurde der Druck immer größer und die Situation für die Juden in der Stadt und in der Schule immer unerträglicher:

 

„Am ersten Reichssportfest durften wir noch teilnehmen und ich erwarb sogar einen Preis, unterzeichnet von Baldur von Schirach. Aber im nächsten Jahr durften Juden nicht mehr dabei sein. Auch musste ich aus dem Turnverein Laupheim austreten und wurde oft nach dem Turnen auf dem Heimweg angepöbelt. Ich wurde Mitglied der Sportgruppe  des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten, wo wir dann jeden Sonntagmorgen auf einer Wiese im Luss Sport betrieben und Handball spielten. Dann traten die Nürnberger Gesetze in Kraft und alle unsere weiblichen Angestellten mussten uns verlassen, was wirklich sehr schmerzlich war. Auch beteiligten sich aktiv österreichische Legionäre, die in Burgrieden im Lager waren, an der Aktion gegen jüdische Geschäfte. Sie beschädigten diese mit Einwerfen von Fenstern und versuchten sogar die Gastwirtschaft ,Ochsen’ anzuzünden. Auch während dem Laubhüttenfest 1935 wurden wir mit Steinen in der Hütte im Garten des Gemeindehauses bombardiert, aber keiner von uns wurde verletzt.“


Vier Generationen auf einem Bild (1924). Sitzend: Urgroßmutter Fanny Steiner, geb. Rosengart. Nach ihrem Tod 1931 richteten die Angehörigen die Fanny-Steiner-Stiftung ein, die in der Berufsausbildung  stehende Jugendliche unterstützte. Links: Großmutter Melanie Steiner, geb. Herz. Rechts: Julie und Ernst Bergmann.

Ernst Bergmann an der Zwinglistraße in St. Gallen/Schweiz 1938.


Emigration in die Schweiz

Im Mai 1936 emigrierte Ernst Bergmann als erster aus seiner Familie zu seinem Onkel Helmut Steiner nach St. Gallen/Schweiz. Ein Jahr später folgte sein Bruder Willy, 1938 die Mutter Julie Bergmann. Melanie Steiners Mutter Lina Herz war 1935 von ihrer Heimatstadt Ludwigshafen nach Laupheim gezogen, da ihre dortige Wohnung von SA-Rabauken demoliert worden war. Beide konnten 1939 in die Schweiz flüchten, wo Lina Herz hochbetagt 1941 in St. Gallen starb.

Ernst und Willy konnten in der Schweiz immerhin die Schule beenden und anschließend eine Ausbildung beginnen. Bei Ernst war es gemäß seiner Neigung  eine landwirtschaftliche Lehre und Willy konnte ab 1942 eine Ausbildung zum Koch absolvieren; beide durften anschließend auch in dem erlernten Beruf als Praktikanten arbeiten. Doch Ernst Bergmanns Beruf von 1941 bis 1946 würde man zutreffender als „Bauernknecht denn als Praktikant bezeichnen. Dennoch war er nicht unzufrieden und als er 1944 als staatenloser Ausländer in ein Arbeitslager kommen sollte, protestierte sein Arbeitgeber heftig. Die zuständige Behörde gab nach und widerrief mit der Feststellung, „dass Bergmann der Schweiz in der Landwirtschaft von besserem Nutzen ist als im Arbeitslager beim Straßenbau.“ Die Mutter Julie erhielt als Ausländerin aber keine Arbeitserlaubnis, sie durfte sich nur ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe betätigen und so war die Familie immer auf die Unterstützung durch den Bruder Helmut Steiner angewiesen.

Bei ihrer Tätigkeit als ehrenamtliche Flüchtlingshelferin hatte Julie Bergmann im Februar 1945 in St. Gallen eine erschütternde Begegnung. Einem Schweizer Politiker und NS-Sympathisanten, dem Alt-Bundesrat Jean-Marie Musy, war es Anfang 1945 gelungen, 1200 Juden aus dem KZ Theresienstadt freizukaufen. Musy kannte Himmler persönlich und es war eine mehr private, in ihren Hintergründen und Zielen nicht ganz geklärte Aktion ohne Beteiligung staatlicher Schweizer Stellen, so dass für die Aufnahme der 1200 Holocaust-Überlebenden kaum Vorbereitungen getroffen waren. Als die unterernährten, apathisch wirken den Menschen, die ihr Glück noch gar nicht begriffen, am 7. Februar 1945 in St. Gallen eintrafen, wurde auch Julie Bergmann zu ihrer Betreuung aufgeboten. Eine der ersten Personen, die sie dabei traf, war ihre ehemalige Laupheimer Klassenkameradin Recha Schmal, die über drei Jahre als Krankenschwester in Theresienstadt gearbeitet hatte.

 

In den USA

Im September 1946 verließen Julie Bergmann und ihre zwei Söhne Europa, um in die USA auszureisen, wo sie sich in New York niederließen. Willy fand schon drei Tage nach seiner Ankunft dank einer Empfehlung seines früheren Chefs in Zermatt eine Stelle als Koch im Waldorf-Astoria-Hotel, die Mutter arbeitete in einem anderen Hotel als Zimmermädchen. Ein Jahr danach kam Großmutter Melanie Steiner nach und wohnte bis zu ihrem Tod 1956 bei der Tochter in New York. Julie starb 1972 und gemäß dem Letzten Willen beider wurden ihre sterblichen Überreste nach Deutschland überführt, wo sie auf dem jüdischen Friedhof Laupheim ihre letzte Ruhestätte fanden.

 

Julies älterer Sohn Ernst Leopold heiratete 1948 Alice Adler aus St. Gallen, und als die Familie 1952 das amerikanische Bürgerrecht erhielt, amerikanisierte er auch den Namen zu Ernest L (ohne Punkt) Bergman (mit einem ‚n') obwohl er seinen schwäbischen Dialekt bis heute unverfälscht beibehalten hat. Aufbauend auf seine solide landwirtschaftliche Ausbildung gelang ihm in den USA eine bemerkenswerte akademische Karriere. Nach dem Bachelor-Abschluss  1955 im Fach Gartenbau/Obstbau folgte 1956 der „Master of Science“ im selben Fach und 1958 die Promotion. Bis 1977 lehrte und forschte er als Professor für Pflanzenernährung an der Pennsylvania State University, danach folgten Forschungs- und Lehraufträge in Südamerika und China. Die Liste der Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften seit seiner Emeritierung ist lang und kann hier nicht wiedergegeben werden. Bei alledem hat er seine gewinnende, freundliche Art und seine schwäbische Mentalität beibehalten nach seiner eigenen Charakterisierung redet er „Schwäbisch in allen Sprachen“, also seine Muttersprache scheint in allen Fremdsprachen durch.

1958 kehrte Ernest Bergman erstmals wieder zu einem kurzen Besuch nach Laupheim zurück, einer Einladung seines Schulkameraden aus den Lateinschul-Zeiten, Sixt Brecht, folgend. In der ersten Nacht in seiner früheren Heimatstadt konnte er nicht schlafen, denn die schlimmen Ereignisse der Vergangenheit kamen in ihm hoch und er hatte Angst, „dass jemand zum Zimmer hereinsteigt“. Diesem ersten Besuch sollten aber viele weitere folgen und heute kann er wieder Laupheim als seine ursprüngliche Heimatstadt betrachten. Als schönsten Besuch hat er bis heute den von 1988 in Erinnerung, als alle noch lebenden Laupheimer Juden von der Stadt eingeladen wurden und wo wir alle wieder da waren“. Er wurde zum Sprecher der Gruppe erkoren und hat seitdem viel für die deutsch-jüdische Verständigung und die Aufarbeitung der düsteren Vergangenheit getan.

 

September 2004: Ernest L Bergman zu Besuch in Laupheim.

Die Initiatoren des Gedenkbuch-Projekts, Dr. Antje Köhlerschmidt und Karl Neidlinger,

nutzten diese Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen.

 

 

 

Quellen:

Ernest L Bergman, unveröffentlichte Aufsätze: Erinnerungen an meine Laupheimer Kindheit, 9 S.; Julie Bergmann-Steiner, 3 S. ; Curriculum vitae, 7 S.; John Bergmann, The Bergmanns from Laupheim. Ernst Ziegler: Jüdische Flüchtlinge in St. Gallen, Löpfe-Benz, Rorschach 1998.

Hist. Fotos von Ernest L Bergman und Archiv Ernst Schäll, Aktuelles: B. Mock.

 

 

 

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