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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

Gedenkbuch Seiten 31 - 28

ADLER, Jakob,

König-Wilhelm-Straße 21

KARL NEIDLINGER

Jakob Adler, geb. 28.5.1875 in Laupheim, gest. 19.12.1935 in Laupheim, OO Berta Adler, geborene Herzfeld, geb. 13.10.1881 in Darmstadt, am 15.8.1939 in die USA emigriert, gest. 1980.
 Herbert, geb. 25.1.1907 in Laupheim, gest. 13.1.1939 in der Heilanstalt Schussenried (geistesschwach),
 Hedwig, geb. 26.8.1910 in Laupheim, Emigration im Herbst 1937 nach Schweden, 1940 in die USA.
Anfang 1933 ebenfalls hier wohnhaft: Martha Baum, geb. Herzfeld, verw., am 18.3.1933 nach Wiesbaden verzogen (ältere Schwester Berta Adlers).

Als  Jakob Adler mit  25 Jahren, so um die Jahrhundertwende, allmählich ans Bauen und Heiraten dachte, hatte die Künstlerkarriere seines jüngsten Bruders Friedrich in München bereits begonnen. Man würde Friedrich Adler heute sicher als „Star-Designer“ bezeichnen, denn er hatte sich mit dem Entwerfen und Gestalten verschiedenster Dinge schon einen Namen gemacht. So war es naheliegend, den Bruder in die Planung und Gestaltung des neuen Hauses, das in der König-Wilhelm-Straße entstehen sollte, mit einzubeziehen. Der ergriff die Chance, entwarf r- und Fensterrahmungen, was er sonst nie mehr tat, und vermittelte auch einen modernen Münchner Architekten, mit dem er zusammenarbeitete: Wilhelm Spannagel. Die Laupheimer erhielten dank dieser Kooperation ein gänzlich aus dem Rahmen fallendes, auch heute noch avantgardistisch wirkendes Baudenkmal, das den damals üblichen Historismus gänzlich hinter sich ließ, aber auch den Jugendstil kaum noch beachtete.

 

Die drei Söhne Isidor Adlers aus der zweiten Ehe mit Frieda Sommer:

Edmund, Friedrich, Jakob (v. l.), 1880. (Friedrich-Adler-Katalog, S. 23)

 

Dass Friedrich Adler das Haus Jakob Adlers auch als sein Werk ansah, zeigt die abgebildete, in Hamburg abgeschickte Postkarte: „HAUS ADLER, LAUPHEIM“. Es war sicher ein Familienprojekt, denn das 1905 fertiggestellte Haus hatte mehrere Miteigentümer und es war für mehr als eine Familie geplant. An der Haustür ist bis heute das Monogramm Friedrich Adlers zu sehen, und die Türeinfassung gilt als seine eigenhändige Arbeit. Die Karte mit dem Foto des Hauses ging im Juni 1911 an seine Halbschwester Betty Wolf in Buchen und trägt folgenden Text:


Liebe Betty! Mitten in der Nacht (es ist bald 12 Uhr) fällt  mir noch Dein Geburtstag ein, also ich gratulier Dir halt ganz gschwind! Wenn mei Frau hier wär, dann hätts sicher einen Brief abgefaßt, aber ohne Frau ist alles nur halb. Vom Artur hab ich 2 Karten erhalten, er will  Photographien von Kunstgewerbeschulen, ich kam aber noch nicht dazu, ich komm überhaupt zu nix, aber in mei Bett komm ich jetzt, sell isch gwiß! Wie geht's Abe? Sei mit allen Deinen herzlichst gegrüßt und gegratuliert Von Deinem Friedel.

 
 

Postkarte von Friedrich Adler. (Arch.: Ernst Schäll)

Bericht aus der "Bautechnischen Zeitschrift vom Februar 1909"

Jakob Adler heiratete im September 1905 Berta Herzfeld aus Darmstadt. Die Familie bewohnte das links abgebildete Haus. 1907 kam Sohn Herbert und 1910 Tochter Hedwig, genannt Hedy, zur Welt. Herbert war geistig behindert und verbrachte seine späteren Jahre in der Heilanstalt Schussenried, Hedy dagegen entwickelte sich prächtig. Jakob und Edmund Adler leiteten gemeinsam die väterliche Firma, wobei Jakob wohl der Dominantere war. Er besaß schon vor dem I. Weltkrieg einen Führerschein und konnte die Geschäftsreisen ohne Chauffeur bestreiten. Im Jahr 1911 legte sich die Firma einen Lkw und 1913 einen Pkw der Marke Adler“ zu, womit sie in Laupheim zweifellos zu den Pionieren des automobilen Zeitalters gehörte. Mit 41 Jahren wurde er 1916 zum Kriegsdienst eingezogen und als Kraftfahrer bis Kriegsende beim Württembergischen Armeekraftwagen-Park 16 in Müllheim/Baden eingesetzt.


 Jakob Adler mit Chauffeur in seinem neuen Pkw, 1913. (Archiv Ernst Schäll)

 

Fotografisch ist die Familie eher schlecht dokumentiert. Auf den Familienfotos der vorherigen Seiten fehlt sie, denn es gab zu Edmund Adler und den anderen Verwandten nur wenig private Kontakte. Jakob Adler war mit den Bergmanns befreundet und hatte viele Kontakte zu seiner christlichen Umgebung. Auf dem Foto des Laupheimer Schützenvereins vom Jahre 1907 ist Jakob besonders gut zu erkennen.

Wilhelm Preßmar, ein entfernter früherer Nachbar aus der Kapellenstraße, verewigte Jakob Adlers  Bezug  zum  Verein  imLaupheimer Schützenmarschanno 1910 wie folgt: „Der Jakob Adler tät gern mit, jedoch die Frau, die leidet's it.“ Auch die anderen Zeitzeugen stimmen darin überein: Die Ehe von Berta und Jakob Adler war nicht glücklich.


Jakob Adler als Mitglied der Laupheimer Schützenmannschaft, 1907.

(Ausschnitt aus: Braun, Alt-Laupheimer Bilderbogen, Bd.1, 1985, S. 30.)

 

Er hat keinen Halt gehabt, er hatte nicht viel Hilfe von seiner Frau“, so  die  Erinnerung von Liesel Adler. Ehen wurden damals überwiegend nach wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten geschlossen,  und die sich daraus ergebenden Konstellationen waren nicht immer harmonisch. Berta Adler arbeitete ebenfalls in der Firma mit. Ihr ehemaliges Dienstmädchen Maria Füssinger, geb. Pretzel, erinnert sich, dass sie ihr jeden Morgen um 8 Uhr ein heißes Bad vorbereiten musste: Ohne dieses genommen zu haben, ging sie nie „ins Geschäft“. Sie verkaufte im Einzelhandels-Laden in der Kapellenstraße Lebensmittel an die Laufkundschaft. Über ihren Mathelehrer Dr. Schweitzer, der die Schul-Sprechstunde immer mit einem Einkauf verband, ärgerte sich Tochter Hedy noch viele Jahre später folgendermaßen: „Für ein Pfund Zucker erzählte er immer meiner Mutter im Laden, wie schlecht ich in Mathe und Geometrie sei. Das war zwar wahr, hat es aber auch nicht geändert und es gab immer Krach zu Hause.“

Bald nach dem Ersten Weltkrieg begann sich Jakob Adler vielfältig öffentlich zu engagieren. Als 1923 ein Hilfsverein heute würde man von Förderverein sprechen für die Laupheimer Latein-  und Realschule gegründet wurde, saß er mit im Ausschuss des Vereins. Seit wann er Vorstand des Laupheimer Handelsvereins war, ist nicht ganz klar. Er leitete den Verein aber die ganzen 20er Jahre, bis 1933. In der Industrie- und Handelskammer Ulm (IHK) war er im Ausschuss tätig, und 1924 wurde er am Landgericht Ulm zum Handelsrichter bei den Kammern für Handelssachen ernannt.

Im Dezember 1928 kandidierte Jakob Adler auf der Liste Gemeinsamer Wahlvorschlag“, hinter der die Zentrumspartei stand, für den Laupheimer Stadtrat. Das katholische Zentrum hatte eine konfessionsübergreifende, mehrere Vereine und gesellschaftliche Gruppen umfassende Liste aufgestellt, um den Frieden und die Einigkeit der Einwohnerschaft zu erhalten und zu festigen“. Jakob Adler wurde bei dieser Wahl mit der vierthöchsten Stimmenzahl in den Gemeinderat gewählt. Der große Erfolg Adlers war auch der Israelitischen Gemeindezeitung in ihrer ersten Ausgabe 1929 einen Kommentar wert:

„Bei der am 9. Dez. hier vorgenommenen Gemeinderatswahl wurde Handels richter und Vorsteher Jakob Adler als vierter unter neun zu wählenden Kandidaten mit sehr hoher Stimmenzahl, die wohl zu zwei Dritteln aus christlichen Kreisen für ihn abgegeben wurden, zum Gemeinderat gewählt. Ein erfreuliches Zeichen des guten konfessionellen Einvernehmens in unserer Stadt, wie auch ein Beweis von der allgemeinen Achtung und Wertschätzung des Gewählten.“

(Aus: Laupheimer Verkündiger“, 7.12.1928)


Dass ausgerechnet das katholische Zentrum, die einzige konfessionell ausgerichtete Partei in der Weimarer Republik, zunehmend auch von streng religiösen Juden gewählt wurde, hat mehrere Gründe. Die Partei konnte sich von antisemitischen Tendenzen frei halten, sie war eine Säule der demokratischen Republik und sie bekämpfte entschieden den aufkommenden Nationalsozialismus. Auch in der letzten freien Wahl am 5. 3. 1933 wählten noch 50 Prozent der Laupheimer das Zentrum. Liesel Adler erzählte von Rabbiner Dr. Leopold Treitel dazu folgende Anekdote: Der hochbetagte, 1931 verstorbene Rabbiner ging bei irgendeiner der zahlreichen Wahlen in den 20er Jahren einmal zum Wählen, hatte den Kopf aber noch ganz in seinem Studierzimmer. „Er schwebte manchmal in einer anderen Welt.“ So betrat er das Wahllokal in der jüdischen Volksschule in der Radstraße mit folgender Frage: Wo kann man hier Zentrum wählen?“

Die 1910 geborene Tochter Hedwig Ad- ler besuchte von 1920 bis zur Mittleren Reife 1926 die Laupheimer Latein- und Realschule. Das nebenstehende Foto von ihr ist ein Ausschnitt aus dem Abschluss-Klassenfoto und bestätigt die Erinnerung der Zeitzeugen: Sie war eine sehr attraktive junge Dame. Danach besuchte sie ein Gymnasium in Genf, um ihr Französisch zu verbessern und machte dort 1929 das Abitur. Danach wäre sie gerne Sport- und Gymnastiklehrerin geworden, doch ihr Vater meinte dazu: „Des isch koi Beruf und bestand auf einem Musikstudium, das sie dann auch in Berlin begann. Erst nach einem Nervenzusammenbruch erhielt sie ein Jahr später die Erlaubnis, auf eine Sportschule in Stuttgart zu wechseln. In dieser Zeit war sie mit dem Apotheker Friedrich Rentschler liiert, und die Zeitzeugen sind sich einig: Diese Verbindung hätte durchaus Chancen gehabt, zur ersten christlich-jüdischen Mischehe in Laupheim sich weiter zu entwickeln! Doch schon vor 1933 endete diese Beziehung.


Hedy Adler als 16jährige Schülerin, links: Lotte Beck.

(K. Neidlinger: 100 J. Realschule, 1996, S. 28)

Im Dezember 1932 konnte Hedy Adler die Sportlehrer-Ausbildung erfolgreich abschließen und hegte große Zukunftspläne. Zusammen mit einer Kollegin und einer früheren Lehrerin wollte sie eine eigene Sportschule in Stuttgart eröffnen. Doch der 30. Januar 1933 zerstörte alle Hoffnungen. In mehreren Beschäftigungsverhältnissen wurde ihr im Lauf des Jahres 1933 gekündigt und sie musste erkennen, dass sie im NS-Staat keine berufliche Zukunft haben würde. So ging sie Ende 1933 nach London, um Englisch zu lernen und dann in die USA zu emigrieren. In Stuttgart auf der Technischen Hochschule musste sie einen katholischen „Beinahe-Verlobten zurücklassen: „Mein Gewissen ließ es nicht zu, ihn in mein Schicksal zu verwickeln.“

Doch in London erlitt sie einen zweiten Nervenzusammenbruch  und kehrte im Frühjahr 1934 wieder nach Laupheim zurück. „Da saßen wir nun alle nutzlos herum, konnten nirgends arbeiten und verdorrten.“ Else Bergmann, Marco Bergmanns Frau, vermittelte ihr schließlich eine Stelle als Sportlehrerin im jüdischen Landschulheim Herrlingen, wo sie dann ihren späteren Mann Ernst Wolf kennen lernte. Er hatte ein ähnliches Schicksal wie sie und seine Dozentenstelle für Französisch an der Pädagogischen Hochschule Bonn verloren. 1937 bekam Ernst Wolf in einem deutsch-jüdischen Kinderheim in Südschweden eine Arbeit und daher emigrierten beide im Herbst desselben Jahres nach Schweden. Von Schweden aus konnten sie dann auf dem Landweg 1940 durch die Sowjetunion nach Japan gelangen und von dort aus per Schiff nach Los Angeles, wo ihr Onkel mütterlicherseits schon F gefasst hatte.


 

Hedy und Ernest Wolf 1988 in La Mesa, Kalifornien. (Archiv Ernst Schäll)

In Kalifornien gelang schließlich beiden ein zweiter beruflicher Start. Ernest Wolf war von 1947 bis 1976 Professor für europäische Sprachen und Kultur im College in San Diego, Hedy Wolf konnte nach der Familienpause“ von 1951 bis 1982 als Gymnastiklehrerin an der La Mesa-Volkshochschule ar- beiten. Im Jahr 1946 kam die einzige Tochter des Paares zur Welt, nachdem Hedy in Schweden schon ein Baby verloren hatte wegen der enormen psychischen Belastung.

Ihr Vater Jakob Adler wurde das erste Laupheimer Opfer des NS- Rassenwahns. Mit dem Verlust seiner Ehrenämter und mit der Ausgrenzung aus der Gesellschaft, in die er und seine Familie schon besonders weit integriert war, kam er nicht zurecht. Die schändlichen Nürnberger Gesetze hatten diese Ausgrenzung 1935 auch rechtlich zementiert. Besonders erschüttert und fertig gemacht hatte die ganze Familie, wie die Geschenke-Aktion in der Vorweihnachtszeit in diesem Jahr verlaufen war. Es war Tradition, dass die Firma Adler zu Weihnachten alljährlich Krankenhaus, Altenheim und andere soziale Einrichtungen großzügig aus ihrem Warensortiment beschenkte. In diesem Jahr kamen die Weihnachtsgeschenke erstmals wieder zurück, die Annahme wurde verweigert . . . Seit 1935 traute sich die Bäckerei aus der Mittelstraße nicht mehr, allmorgendlich eine Tüte mit frischen Semmeln an die Türe zu liefern. Eine Bäuerin aus der Sterngasse kündigte unter Tränen ihre regelmäßigen Gemüselieferungen an die Familie auf: sie traue sich nicht mehr . . .

Sein älterer Halbbruder Eugen hielt den Firmenchef im Herbst 1935 offenbar mehrmals noch vom Selbstmord ab, wie sich Liesel Adler erinnerte: „Er ging ihm ein paarmal nach, er hat ihn mit dem Messer gesehen, hat ihn mit dem Strang gesehen, um sich aufzuhängen.“ Am 19. Dezember 1935 ging Jakob Adler wie jeden Tag morgens ins Geschäft, er erkundigte sich aber bei seiner Frau, ob sie auch käme. Diese wunderte sich über die Frage, da sie ja jeden Tag dorthin ging, bemerkte aber offenbar nichts. Doch als sie dann in den Laden kam, hatte ihr Mann im Keller bereits eine Flasche Essig-Essenz ausgetrunken, lebte aber noch unter entsetzlichen Schmerzen. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo er am Abend des gleichen Tages verstarb. In der NS-Presse war sodann ein hämischer Kommentar zu lesen: „Der Jude Adler hat Selbstmord begangen.“

Obwohl auch auf Maria Pretzel von NS-Seite Druck ausgeübt wurde, das Dienstverhältnis bei Berta Adler zu kündigen, blieb sie bis Ende 1939 als Hausangestellte bei ihr. Ab 1938 betrieb Berta ihre Emigration aus Deutschland, und zwei Wochen vor Kriegsausbruch konnte sie im August 1939 gerade noch nach den USA entkommen. Maria Pretzel erhielt aber ihren Lohn noch bis zum Jahresende, denn sie sollte den Haushalt in der König-Wilhelm-Straße 21 vollends auflösen. Auch die Innenausstattung des Hauses war von Friedrich Adler entworfen und von dem Möbelschreiner Philipp Rechtsteiner ausgeführt worden. Nichts davon hat sich erhalten.

Weil das Vermögen deportierter Juden dem Reich verfiel, richtete die Stadtverwaltung Laupheim das umseitig wiedergegebene Schreiben folgerichtig an das Finanzamt. Die Gebäudebrandschadensumlage 1943 war fällig und diese sollte das Finanzamt als Vermögensverwalter überweisen. Drei der in dem Anschreiben genannten vier Besitzer des Hauses lebten zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr, zwei waren eines gewaltsamen Todes gestorben. Etwas davon hat vermutlich auch der Schreiber dieser Rechnung geahnt oder gewusst. Aber dennoch tat er so, als sei alles ganz normal, als würde das Haus den vieren immer noch gehören und er mahnte die 6,30 Mark von ihnen zur Bezahlung an.


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