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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

Gedenkbuch Seiten 68 - 70

BERGMANN, Theodor,

Kapellenstraße 47

KARL  NEIDLINGER

Theodor Bergmann, geb. 17.12.1875, Laupheim, gest. 16.8.1941, NY,  OO Thekla Bergmann, geb. Steiner, geb. 22.8.1881, Laupheim, gest. 27.2.1974, Seattle/USA.
 Hildegard „Hilde, geb. 24.1.1908, gest. 24.4.1997 in Seattle/USA,
 Ilse, geb. 24.1.1911, gest. 15.7.1953.
Emigration der gesamten Familie zwischen 1933 und 1939 in die USA.

Über den ältesten Sohn Josef Bergmanns und seine Familie gibt es die wenigsten Informationen und auch Fotos. Aus zwei Gründen ist die Quellenlage bei ihm am schlechtesten: Zum einen war er schon in Laupheim der am Familienleben der Großfamilie am wenigsten Teilnehmende und zum anderen brach die Familie nach der Emigration in die USA die Kontakte zur gesamten Verwandtschaft vollkommen ab. So ist in der Chronik der Familie von John Hans Bergmann über den Onkel Theodor am wenigsten zu finden, da der Autor von ihm sicher kaum Material hatte. John Bergmanns Familienchronik ist die wichtigste Basis der vorne stehenden Firmengeschichte wie der folgenden sechs Familiengeschichten.

Theodor war „vielleicht der Intelligenteste und Intellektuellste“ unter den vier späteren Firmeninhabern, der immer viel las. Er besuchte nach der Grundschulzeit die Laupheimer Lateinschule und beendete sie mit dem „Einjährigen“, wie die Mittlere Reife damals genannt wurde. Danach stieg er ins Berufsleben ein und das hieß für die Söhne, wie einst auch für den Vater Josef Bergmann: Auf Wanderschaft gehen. Mehrere Jahre verbrachte Theodor in Italien, wo er auch die Sprache erlernte. 1903 war er einige Monate in England. Neben guten Kontakten, Geschäftserfahrung und Italienischkenntnissen brachte er auch die Liebe zur italienischen Oper mit nach Laupheim. Der „Bergmann-Pfiff “, den er einführte und den jedes Familienmitglied außer Großvater korrekt beherrschte, war eine bekannte Melodie aus einer solchen Oper. Immer wenn der Pfiff erklang, wusste jeder: Ein Bergmann ist in der Nähe!

Im Jahr 1907 heiratete er Thekla Steiner (geb. 1881) aus der angesehenen Steiner-Familie. Sie brachte ihr Elternhaus in der Kapellenstraße 47 als Erbe in die Ehe ein. Dieses wurde dann nach Umbau und Renovierung Wohnsitz der Familie. 1908 kam die erste Tochter Hildegard, genannt Hilde, zur Welt und 1911 die zweite Tochter Ilse. Seit 1904 war Theodor zusammen mit dem Cousin Marco Bergmann als Geschäftsführer in der Firmenleitung tätig und 1907 wurde er gleichberechtigter Teilhaber mit allen Vollmachten. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Theodor schon fast 40 und musste deshalb als einziger der vier Teilhaber nicht mehr einrücken. Während des Krieges führte er die Firma allein mit seinem Vater. Privat lebte die Familie eher zurückgezogen und hatte wenig Kontakt, weder in der Verwandtschaft noch außerhalb. Hauptsächlich führt John Bergmann das auf den Einfluss von Thekla, Theodors Frau, zurück, die eher negativ gesehen wird, die ihren Mann sehr bestimmt habe, die mit niemandem richtig klar gekommen sei und immer nur ihren Vorteil gesucht habe. Das wurde offenkundig nach dem Tod Josef Bergmanns 1922, als es um sein privates, von Theodor zu verteilendes Erbe erstmals richtigen Streit gab in der Familie und wo die Theodors keine gute Figur machten.


Thekla Bergmann, geb. Steiner, mit

Tochter Hilde.

Die ältere Tochter Hilde heiratete Ende der 20er Jahre nach Stuttgart und emigrierte mit ihrem Mann Hermann Schmidt von dort aus später nach den USA. Ilse, die Jüngere, begann 1930 ein Medizinstudium in Tübingen, das sie 1933 abbrechen musste. In Wien konnte sie dann weiter studieren, unklar ist jedoch, wie lange. Im Jahr 1937 heiratete sie Kurt Lebrecht aus Ulm, mit dem sie Anfang 1939 in die USA emigrierte. Den zunehmenden Druck und Terror der NS-Machthaber ab 1933 wussten die vier Brüder, und insbesondere Theodor als „Seniorchef “, nicht richtig einzuschätzen und mit ihm umzugehen. Allzu lange wirkten sie unentschlossen und uneinig, was sich an Theodors wenig geplanter und durchdachter erster Emigration nach Liechtenstein 1937 deutlich zeigte. Da er durch eine Erbschaft von den Schwiegereltern finanziell besser gestellt war als die anderen, ging er ohne vollständige Papiere und ohne Erlaubnis der Behörden in das kleine Liechtenstein. Ein Jahr später kehrte er aber freiwillig wieder zurück, da die Nazis ihm finanzielle Vorteile bei der späteren regulären Emigration nach den USA versprochen hatten. Natürlich hielten sie nichts davon ein, Theodor wurde in der Reichspogromnacht mit den anderen nach Dachau verschleppt und kehrte vier Wochen später schwer krank zurück. Er ging ins Laupheimer Krankenhaus zur Behandlung, wo er auch aufgenommen wurde, aber es war nur im Frauenflügel gerade ein Bett frei. Daher war er auch gezwungen, die Frauentoilette zu benutzen und unglücklicherweise traf er dort mit einer BdM-Führerin zusammen. Diese fühlte sich durch die Anwesenheit eines Juden belästigt und machte Meldung bei der Parteileitung: Als kranker Mann musste Theodor das Krankenhaus ungeheilt wieder verlassen.

Nach der Pogromnacht 1938 versuchten fast alle deutschen Juden, so schnell wie möglich aus Deutschland herauszukommen. Doch die Einwanderungsländer, auch die USA, waren weiterhin sehr zögerlich bei der Vergabe von Einreisevisa, und die Nervosität und der psychische Druck bei den Auswanderungswilligen wuchs. In der Bergmann-Familie zerstörte diese Anspannung das Verhältnis zwischen der Theodor-Familie und der übrigen Bergmann-Familie. Es gab kaum noch Kontakte, denn das Vertrauen war zerstört. Näheres dazu bei der Edwin-Familie.

Theodor starb schon 1941 in New York, doch seine Frau Thekla, mit der sich die anderen bei den Restitutionsverhandlungen nach dem Krieg verständigen mussten, erreichte ein gesegnetes Alter von 92 Jahren und starb 1973 in Seattle, Washington. Dort hatte sich auch die Tochter Hilde mit ihrem Mann Hermann Schmidt niedergelassen. Die zweite Tochter Ilse war zweimal verheiratet, zuerst mit Kurt Lebrecht und nach der Scheidung von ihm mit Siegfried Einstein aus Buchau. Ihrer zweiten Ehe entspross der Sohn Theodor Einstein, später Physikprofessor an der Universität Maryland. Von den Kindern stieg niemand in die Firma Bergmann ein und die Anteile gingen in den 50er Jahren an die Nachkommen Marco Bergmanns über.

Die Kinder- und die Enkelgeneration hat, wie Ernest Bergman im Gespräch hervorhob, die alten Zerwürfnisse längst begraben. So gibt es zwischen dem emeritierten Biologieprofessor Ernest Bergman und dem Physikprofessor Ted Einstein wieder herzliche und freundschaftliche Kontakte.

 

Quellen:

 

John Bergmann: The Bergmanns from Laupheim, 1983.

Fotos: Staatsarchiv Sigmaringen, 65/18 T4, Nr. 13-17, Archiv Ernst Schäll.

 

 

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