Die
jüdische Gemeinde Laupheim und
ihre Zerstörung
Gedenkbuch Seiten 447 - 451
RIESER,
Jette, Marie, Lina und Adolf,
Kapellenstraße 22
[Leopold
Rieser,
geb. 7.1.1827
in
Laupheim, gest.
2.2.1900 in
Laupheim,
OO
Fanny,
geb.
Löwenthal,
geb. 8.2.1844 in
Laupheim,
gest. 14.10.1927 in
Laupheim],
–
Jette
Rieser,
verh.
Gottschalk-Sternberg,
geb.
5.2.1861
in
Laupheim,
[Emil-Emanuel
Rieser,
geb.
15.11.1862
in
Laupheim,
gest.
9.7.1907
in
Godesberg],
–
Marie
Rieser,
geb.
24.3.1864
in
Laupheim,
gest.
7.10.1934
in
Laupheim,
– Lina Rieser,
verh. Kaufmann,
geb. 3.10.1870 in
Laupheim.
Emigration
am 23.2.1940
in die
USA,
gest. 3.3.1955
in
New
York [Isaak
Kaufmann,
Frankfurt],
[–
Fritz
Kaufmann,
geb.
19.5.1896
in
Laupheim,
gefallen
3.7.1915 in
Galizien],
–
Adolf
Rieser,
geb. 20.1.1873 in
Laupheim,
gest.
16.11.1934
in
Laupheim,
[Anna
Rieser,
verh.
Schöpflich,
geb. 15.3.1880
in
Laupheim,
gest.
1950 in
Philadelphia,
USA,Eduard
Schöpflich,
geb. 8.7.1873
in
München,
gest. 14.8.1933
in München]
Die
Anzeige aus dem Laupheimer Verkündiger aus dem Jahr 1886 ist das älteste Zeugnis, das für diesen Zweig der Familie steht und verkündet aus heutiger
Sicht recht humorvoll die Eröffnung eines Handels mit „echten medizinischen
Natur-Weinen für Kranke, Magenleidende und Rekonvaleszenten als französische Rotweine . . .“. Ob die Geschäftsgründung ein Erfolg wurde, war wie vie les andere nicht zu ergründen. Die Quellenlage ist recht dürftig und gibt nur fragmentarisch Einblick in das Leben der einzelnen Familienmitglieder.
Das
Ehepaar Leopold und Fanny Rieser, geborene Löwenthal, hatte insgesamt elf Kinder, von denen ab 1933 noch vier ganz bzw. zeitweise in Laupheim lebten. Das Elternhaus in der Kapellenstraße 22 war laut „Adreß- und Geschäfts-
Handbuch für die Oberamtstadt und die Bezirksgemeinden Laupheim“ aus dem Jahr 1925 für Adolf Rieser und seine verwitwete Schwester Lina Kaufmann
Wohnsitz. Es ist anzunehmen, dass dies auch für die ledig gebliebene Schwester Marie Rieser galt, über die nichts in Erfahrung zu bringen war.
Jette Gottschalk-Sternberg
Die
älteste Schwester Jette war am 25. April 1934 aus Wuppertal-Barmen nach Laupheim gezogen, jedoch wohl nicht dauerhaft. Am 15. März 1885 hatte sie in
Laupheim den Kaufmann Gottschalk-Sternberg geheiratet und den Heimatort mit ihm verlassen. Der von den
Nationalsozialisten vermerkte Zuzug mag evtl. nur ein längerer Besuch bei den Geschwistern gewesen sein, denn ihre Spur ver- lor sich jedenfalls. „Das Gedenkbuch jüdischer Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland“, weist auf ihren Tod im KZ Theresienstadt hin. Zu den aus Laupheim deportierten Juden gehörte sie nicht.
Lina
Kaufmann
Lina, geborene Rieser, hatte am 19. August 1895 in
Laupheim Isaak Kaufmann aus Frankfurt geheiratet. Sohn Fritz wurde am 19. Mai 1896 geboren. Nach dem Tod ihres Mannes kehrte sie in ihr Elternhaus nach Laupheim zurück. Ihr Sohn Fritz ist auf dem Foto seiner Jahrgängerin Julie Steiner, später verheiratete Bergmann, zum ersten Schultag 1903 zu finden. Dem Alter nach dürfte er auch
eingeschult worden sein. Wie die anderen Kinder hielt er eine Brezel in der Hand und trug einen festlich anmutenden Matrosenanzug,
der modisch die Begeisterung der Deutschen für die Flottenpläne des deutschen Kaisers Wilhelm II. stand und sehr populär war. Das folgende
europäische Wettrüsten mündete schließlich im Ersten Weltkrieg, in den Fritz als gerade 18jähriger Kriegsfreiwilliger am 10. August 1914 zog und bereits im ersten Kriegsjahr am 3. Juli 1915 in Galizien zum Opfer fiel.
Seine Mutter Lina Kaufmann engagierte sich als Schriftführerin jahrelang und später auch als Vorsitzende aktiv im israelitischen Frauenverein Laupheim, was zahlreiche Zeitungsartikel des „Laupheimer Verkündiger“ dokumentieren. Diese
Vereinigung jüdischer Frauen zählte 1933 98 Mitglieder und war an der interkonfessionellen Wohlfahrtspflege
beteiligt, vergab
aus
der Fanny-Steiner-Stiftung Beiträge zur Berufsausbildung, unterhielt eine Nähstube und organisierte Vorträge wie zum Beispiel 1928 von Frau Dr. Rosengart über die „Deutsche
Frauenbewegung“, Frau Dr. Weil über „Dostojewski“ und die „Kulturarbeit in Palästina“,
Frau Blumenthal über das Thema „Wir Frauen und der Alkohol“. Darüber hinaus lag die Pflege jüdischer Feste, die der Jugend nahegebracht werden sollten, im Anliegen des israelitischen Frauenvereins. 1931 veranstaltete er einen Seder-Abend, eine Chanukka-Feier, errichtete eine Sukkoh u.a.m. Das
Engagement für die jüdische Gemeinde setzte Lina Kaufmann auch in der Zeit des Nationalsozialismus fort und übernahm zeitweise die Leitung des jüdischen
Altersheims am Judenberg 2. Ihr gelang
am 23. Februar 1940 die Emigration in die USA nach New York. Dabei dürften ihr Verwandte ihres Mannes behilflich gewesen sein. In einer Annonce im „Aufbau“, der Zeitung der jüdischen Emigranten in New
York, vom 6. August 1948, die den Tod von Rosa Kaufmann
anzeigt, unterschrieben
deren Schwester
Else Zivy, geborene Kaufmann und deren Mann Eugen sowie als Schwägerin Lina Kaufmann. Bis zu ihrem Tod am 3. März 1955 lebte Lina
Kaufmann in New York.
Adolf Rieser
Die Fotografie
von einer Schlittschuhläufergruppe
auf der Eisfläche eines
Schlossweihers
in
Laupheim
aus dem
Jahr 1895
zeigt
18
Frauen,
8
Männer
und 6 Jungen.
Nur zwei
von ihnen
sind
namentlich
bekannt: der
ehemalige
Lehrer an
der
jüdischen
Volksschule, Adolf Gideon
(1869–1909, 2.
Erwachsener
von rechts)
und Adolf
Rieser
mit Stock
in der Bildmitte.
Im
Vergleich
zu den
anderen Frauen und Männern
wird deutlich,
dass letzterer
ein relativ
kleiner und
schmächtiger Herr
gewesen
ist. Über
ihn ist
ebenfalls nur
wenig bekannt.
Als Junggeselle blieb
er ohne
Nachfahren und als
Berufsbezeichnung
wurde im „Adreß-
und Geschäfts-Handbuch
für die Oberamtstadt und
die Bezirksgemeinden
Laupheim“
aus dem
Jahr 1925
Kaufmann vermerkt.
Adolf Rieser war ein
durchaus geselliger Mensch, denn
er war
sowohl Mitglied
der Schützenmannschaft
von 1907
und auf
dem
bekannten
Gruppenfoto fotografisch
festgehalten. Darüber
hinaus war
er mit
zahlreichen
jüdischen Männern
befreundet, wie das Foto
auf der
nächsten
Seite belegt, das
diesen
Herrenkreis zeigt.
Adolf Rieser.
Schützenfoto
von
1907.
(Alt-Laupheimer
Bilderbogen, S. 30,
1986)
Foto
rechts
oben: Schlittschuhläufergruppe auf
einem Schlossweiher,
1895.
Adolf
Rieser im
Vordergrund,
dritter von
links,
mit Stock.
(Alt-Laupheimer Bilderbogen,
S.
272, 1988)
Sitzend
(v.
l.):
Jonas
Weil,
Adolf
Rieser
und Theodor Bergmann;
stehend:
linke
Person
unbekannt, Ludwig
Stern.
Anna und
Eduard
Schöpflich
Erwähnenswert erscheint im Zusammenhang mit der Darstellung der Geschwister Rieser, die in
Laupheim wohnten, die jüngste Schwester Anna Schöpflich, geborene Rieser. Sie hatte am 10. April 1911 in München einen der renommiertesten Goldschmiede der bayerischen Haupt- und Residenzstadt geheiratet, mit dem sie drei
Kinder bekam. Eduard Schöpflich führte am Maximiliansplatz 1, später in der Perusastraße 2 eine kunstgewerbliche Werkstätte für modernen Schmuck. 1918 erwarb das Ehepaar ein Haus in Grünwald, das bis 1920 Sommersitz der Familie war und nach Aufgabe der Münchner Stadtwohnung
Hauptsitz wurde. 1929 gab Eduard Schöpflich sein Juwelier- und Goldschmiedegeschäft aus gesundheitlichen Gründen auf. Im Sommer 1933 erkrankte er schwer,
infolgedessen er im August desselben Jahres starb. Seine Frau Anna Schöpflich
emigrierte mit der Tochter Cäcilie im November 1939 in die USA. Ihr letztes Lebensjahrzehnt verbrachte sie in Philadelphia, wo ihre älteste Tochter Lina Gabriele mit ihrem Mann, dem ebenfalls
aus München stammenden
Linguistikprofessor Henry M. Hoenigswald, lebte. 1950 verstarb sie dort.
Restitution
Das Gebäude in der Kapellenstraße 22, das laut Grundbucheintrag aus dem Jahr 1906 Fanny Rieser, geborene Löwenthal, bzw. deren Erben gehörte, war
Gegenstand der Restitution. Diese wurde in der französischen Besetzungszone, zu der Laupheim gehörte, grundsätzlich und systematisch für alle jüdischen Verkäufe zwischen 1933 und 1945 durchgeführt. Sie betraf aber auch Fälle, bei dem jüdisches Eigentum an das Deutsche Reich gefallen war, wie es für das Haus der Riesererben in der Kapellenstraße 22 der Fall war. Den Unterlagen des Staatsarchivs zufolge erhob
die
„Branche Francaise de
la Jewish Trust
Corporation for Germany“; die als Nachfolgeorganisation für die Rückerstattung herrenlosen jüdischen Vermögens vom Hohen Kommissar der Französischen
Republik anerkannt war, 1953/54 Anspruch auf das Haus in der Kapellenstraße 22. Dies wurde von Paula Laupheimer im Auftrag von Konsulent Dr. Moos, Ulm, als Bevollmächtigter der Erbin und rechtmäßigen Eigentümerin Lina Kaufmann
verwaltet. Im Haus gab es zwei Wohnungen, die vermietet wurden. Der Ausgang der Restitution ist nicht dokumentiert.
Quellen:
Archiv
John Bergmann.
Archiv
Ernst Schäll.
Biografisches Gedenkbuch
der
Münchner Juden.
Band 2. Hrsg.
v.
Stadtarchiv
München. München
2007. Braun,
Josef:
Altlaupheimer
Bilderbogen. Band 1
u. 2,
Laupheim
1986 und
1988.
Laupheimer Verkündiger
1928 bis
1933. Staatsarchiv
Sigmaringen Wü
126/2
FA
BC 35.
Weil,
Jonas:
Verzeichnis
von Kriegsteilnehmern
der
israelitischen Gemeinde
Laupheim.
Laupheim
1919.