Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung
Gedenkbuch Seiten 111 - 115
Ulmer Straße 69
KARL NEIDLINGER
Marco Bergmann, geb. 10.8.1878 in Laupheim, gest. 23.7.1952 in Ulm, OO Elsa Jenny Bergmann, geb. Oppenheim, geb. 4.3.1886, gest. 16.2.1956 in Frankfurt/M.
– Eleonore „Lore“ Bergmann, geb. 13.5.1907 in Laupheim,
– Paul Bergmann, geb. 21.6.1910 in Laupheim, gest. Dezember 1982,
– Ruth Friga Bergmann, geb. 23.9.1917 in München, gest. 31.2.2003.
Emigration der Familie zwischen 1933 und 1937 nach England bzw. später in die USA und nach Kanada.
"Villa
Bergmann“
ist die
ursprüngliche und eigentlich
richtige Bezeichnung
für
das markante
Gebäude an
der
Ulmer Straße,
das
heute
„Gregorianum“ oder
einfach Musikschule genannt
wird. Marco,
der
älteste
Sohn Anton
Bergmanns, errichtete
das
repräsentative Gebäude
inmitten eines
weitläufigen Parks
im Jahr
1912 als
Wohnsitz
für
seine
Familie,
ein
deutliches Zeichen der
Prosperität
vor dem Ersten
Weltkrieg.
Seine jüngeren
Brüder und
Cousins bauten
und wohnten
nicht mehr
so aufwendig,
sicher auch ein
Hinweis, dass in
den
Jahren vor dem
Ersten
Weltkrieg
der
Gipfelpunkt in
der
Geschichte der
Firma Bergmann
erreicht war.
Zu
Marcos Schulzeit
steckte die
Firma noch
in
den
Kinderschuhen. Für
eine lange
Schulausbildung der
Kinder
war noch
kein
Geld da,
und so
begann
er nach
vier Jahren
Lateinschule schon
mit der
Berufsausbildung.
Und das
bedeutete
für ihn wie
für alle
Bergmänner: Auf Reisen gehen,
Sprachen
lernen und die
Welt erkunden.
Marcos
„Wanderjahre“
führten ihn
nach
Frankreich,
nach Genf sowie
in die
Donaumonarchie Österreich-Ungarn.
Im Jahr
1904
wurde
er
zusammen
mit seinem Cousin
Theodor
in die
Firmenleitung aufgenommen
und 1907
wurden beide
zu gleichberechtigten
Teilhabern erhoben. Eine
Voraussetzung
dafür war seine
ein Jahr zuvor
gefeierte Hochzeit.
Das
Fest
fand in
Frankfurt/Main
statt, denn
seine
Frau
Else Oppenheim
stammte aus einer alten jüdischen
Frankfurter Patrizierfamilie.
Ausschnitt aus einem Gruppenfoto um 1900: Marco (ganz rechts)
stößt mit
Ludwig Stern
an, vor
ihm sitzt
sein Cousin
Theodor Bergmann.
Als
erster
in der
Familie und
lange Jahre
als
einziger
besaß Marco
einen
Autoführerschein,
und als
er sich
1908 einen
dunkelblauen
Opel kaufte, war
dies eines
der
ersten
Autos in
Laupheim.
Die Jungfernfahrt
von Ulm
nach
Laupheim
verlief
allerdings nicht ganz
reibungslos.
Der
Tank
war beim
Start nicht
mit der richtigen Mischung befüllt
worden und
in Dellmensingen
gab das neue
Auto schon auf. Niemand wusste, wie
es
weitergehen
sollte, da
kam zum
Glück eine
pferdebespannte Artillerieeinheit des
Wegs,
deren Offizier
Marco zufällig
kannte. Der lieh ihm
zwei
Pferde, die
vor das
neue Auto gespannt
wurden und
so kamen
sie,
von
zwei
PS gezogen,
doch noch heim.
Marco wird
von John
Bergmann als
großzügige, musikalisch
begabte,
künstlerisch und
kulturell
vielseitig interessierte
Persönlichkeit charakterisiert.
Er spielte selbst Geige und
versuchte in den
20er Jahren
erfolgreich, ein Orchester
in Laupheim
zusammenzustellen, das
mit
der Blaskapelle zusammen einmal
ein gemeinsames
Konzert
gab.
Ebenso
versuchte er, auswärtige Orchester
und Theatergruppen
zu
Aufführungen
nach Laupheim
zu
engagieren:
Dass sein Haus
heute die Städtische
Musikschule beherbergt, müsste
eigentlich ganz in
seinem Sinne sein.
Die
älteste
Tochter
Eleonore, genannt
Lore,
kam im
Jahr 1907
zur
Welt,
sie studierte nach dem
Abitur
Medizin. Der
1910
geborene
Sohn Paul
stieg nach
der Schule in die
elterliche
Firma
ein und
blieb dem
Haargeschäft als
einziger
der nächsten
Generation auf Dauer treu.
Die 1917
geborene
jüngste
Tochter
Ruth Frigga
war 1933
noch Schülerin
und konnte
daher in
Deutschland keine
Ausbildung
mehr beginnen.
Im Ersten
Weltkrieg
wurde auch Marco
1915
eingezogen,
zuerst zur Infanterie, danach
kam er
dank seines
Führerscheins
als Fahrer
zu einer
motorisierten
Einheit. Er
überstand
den Krieg
unversehrt.
Als nach
dem Krieg
bei der
Gründung der Weimarer Republik auch
die
Frauen
in Deutschland
erstmals das
aktive und
passive
Wahlrecht
erhielten, kandidierte
Elsa Bergmann auf einer
von ihr mit
initiierten
Frauenliste 1919 für
den Laupheimer
Gemeinderat. Sie
erzielte mit
809 Stimmen das beste Ergebnis auf
ihrer Liste,
verfehlte jedoch
den Einzug als
erste
Frau
in das
Stadtparlament knapp. „Stimmenkönig“
wurde bei dieser
ersten Kommunalwahl
nach dem Krieg
Max Bergmann
mit
2867 Stimmen.
Ex
libris für
Else
Bergmann von
Friedrich
Adler.
Eine kleine,
aber aussagekräftige
Begebenheit aus
der Weimarer
Zeit sei
am Rande hier erwähnt.
Im
Jahr
1929 feierte
der FV
Olympia
Laupheim
ein Jubiläum:
25
Jahre
Fußball in der Stadt
wurden
im
August
drei
Tage
lang
gefeiert.
Wie bei
solchen Gelegenheiten
üblich wurden
auch großzügig
Auszeichnungen, in diesem
Fall
silberne
Vereinsnadeln, verliehen.
Unter den
Ausgezeichneten waren Marco
und Max
Bergmann ebenso
Ehrenvorstand Mut
Steiner
und Sam Steiner.
Sie
waren
im
gleichen Verein,
erhielten die gleiche
Auszeichnung und kamen
möglicherweise
auch noch
ganz gut
aus mit Leuten wie Abdon
Lemmle,
dem ersten
NS- Ortsgruppenleiter,
oder Josef
Spleis, Otto
Miller,
Willy
Tröscher
oder Hugo
Raff,
die später
ebenfalls NS-Funktionsstellen
wie Block- oder
Zellenleiter
innehatten. Sie alle
wurden gemeinsam
geehrt und haben
sich vielleicht
auch
zu einem
gemeinsamen
Foto
aufgestellt. Gut
drei Jahre
später war
die Gemeinsamkeit aufs
Radikalste
zerstört...
Auch
Elsa Bergmann
betätigte sich
kulturell
vielseitig
in der
Gemeinde, obwohl sie
in ihren frühen
Jahren ausgesprochen antireligiös war.
So leitete
sie lange
Jahre den
israelitischen Frauenverein,
der es
als eine
seiner Hauptaufgaben betrachtete, „der Schuljugend
die religiösen Feste
eindrucksvoll
zu
gestalten“.
Ihre Nachfolgerin
in
diesem Amt
war Lina
Kaufmann.
Von
1928 bis
1934 war
Elsa
Bergmann
Vorstand
der Jüdischen
Frauenvereinigung in Württemberg.
Marco
Bergmann (rechts),
vor ihm
steht
Gemeinderat
Adolf
Scheffold.
Seit der
Gründung der
„Reichsvertretung
der Deutschen
Juden“ gehörte
sie als
eine von
drei Frauen
auch dieser
Organisation an. Die
„Reichsvertretung“ musste
1934 als
Dachorganisation der deutschen Juden
und Ansprechpartner
für die Nazi-Regierung
gebildet werden.
Elsa Bergmann
war
bei der
ersten
Versammlung
der Organisation am
11.
Februar
1934 in Berlin dabei,
neben so
bedeutenden
Persönlichkeiten
wie
Rabbiner
Leo
Baeck,
Martin
Buber und anderen
jüdischen Geistesgrößen,
insgesamt 52 Personen.
Bis zur
Emigration
arbeitete sie in
dieser
Vereinigung
mit.
Die
älteste
Tochter
Lore
war
vermutlich
die
erste
Laupheimerin,
die Deutschland 1933 aus
politischen
Gründen
verließ.
Sie hatte 1929 an
der Uni
Freiburg
das Physikum bestanden
und 1933 ihr
Medizinstudium
in München
abgeschlossen und
promoviert. Nun
ging sie
nach London, um dort
ihren Beruf
auch ausüben
zu können.
Ihre jüngere
Schwester Ruth
machte 1933
an der
Laupheimer
Latein- und Realschule
gerade erst die
Mittlere Reife.
Auf dem
Foto
ihrer
Klasse sitzt
sie ganz rechts, reifer und
älter als
ihre
Schulkameraden
wirkend. Die Namen
ihrer Mitschüler, von
links, stehend:
Anton Schick,
Eugen Sonntag,
Ludwig
Dobler, Bruno
Denser,
Hermann Zepf, Schneider
(Schwendi),
Fritz
Staub,
Karl
Baum. Sitzend:
Irene
Traub,
Liesl Hofheimer,
Karl
Müller,
Irene Adler,
Ruth Bergmann.
Der
politische
Überblick und
die
Erfahrungen,
die Else Bergmann
in den
Gesprächen
und Verhandlungen
der Reichsvertretung
mit den NS-Vertretern
sammeln konnte,
spielten sicher eine große Rolle
bei dem 1936
gefassten Entschluss der
restlichen
Familie,
aus
Deutschland zu
flüchten
anstatt eine reguläre
Emigration
zu
planen. Fast
ihr
ganzes
Hab und
Gut
ließen
sie zurück, denn Marco,
Elsa
und
Paul
Bergmann gelangten
im
Januar
1937 ohne
Einreisepapiere mit nur
wenigen
Koffern
und
einer
wertvollen Stradivari-Geige
im Gepäck
nach
London
bzw.
über Havanna in
die
USA.
Das
zurückgelassene
Eigentum wurde
später von
den deutschen
Behörden
beschlagnahmt.
Marco, der
schon in
Laupheim
teilweise
eigene geschäftliche
Wege
gegangen war, gründete nun
in
New
York
eine eigene
Haarveredlungsfirma,
in
die
nach seiner Rückkehr
als US-Soldat
aus dem
Krieg auch
sein Sohn
Paul
einstieg.
Diese lief
nicht
schlecht und
nach ihrer
Ankunft in
New
York fanden auch
seine Cousins
und
ehemaligen Partner
Max und
Edwin bei
ihm
zeitweise
Arbeit und
Unterstützung.
Da von
ihren
Kindern
niemand in
das Haargeschäft
einstieg,
war schon
vorgezeichnet,
wie es
nach der Restitution in
Laupheim weitergehen
würde: Die
Familie Marco Bergmann mit den
Teilhabern
Marco, Else,
Paul
und
Eleonore
führten die
Firma
Bergmann allein
weiter,
die Erben
der früheren
Teilhaber
wurden 1950 aus- bezahlt.
1954 wurde
ein weiterer
Partner,
Heinz
Freund,
hereingenommen.
Die
ganzen komplizierten
und belastenden
Restitutionsverhandlungen
nach dem Krieg in
Laupheim
lagen weitgehend
in den
Händen des
über siebzigjährigen
Marco Bergmann, ebenso
wie die
Wiederaufnahme
der Produktion
und des
Geschäftsbetriebs. Daher war
er schon bald
nach
Kriegsende wieder
viel mehr in
Laupheim als
in
New
York,
wo
sein Sohn Paul
allmählich
die
Leitung
übernahm. Doch
noch bis
1953
hieß
die
Laupheimer
Firma
„Württembergische
Haarfabrik“. Marco
erlebte es
also nicht
mehr, dass sie
wieder den
Namen „Bergmann“
erhielt:
Bei einem
tragischen Verkehrsunfall auf
der
Fahrt
von Ulm
nach
Laupheim
verunglückte
der 73jährige
am 22. Juni 1952
bei Dellmensingen
und wurde
mit schweren
Verletzungen
nach Ulm ins
Krankenhaus
eingeliefert, wo er
einen
Tag
später starb.
Sein Cousin
Max, der die
abgebildete
Todesanzeige
in der
„Schwäbischen Zeitung“
aufgegeben hatte, überlebte
ihn nur
um sechs
Wochen.
Marcos
Sohn
Paul
starb 72jährig
im
Dezember 1982
in New
York,
seither
sind seine Söhne
Peter und
Ronald
Mitinhaber der New
Yorker
und der
Laupheimer
Firma
Bergmann.
Quellen:
John
Bergmann,
The
Bergmanns
from Laupheim,
1983,
Museumsbestände,
unnummeriert, Archiv Theo
Miller,
John-Bergmann-Nachlass
im
Leo-Baeck-Institut
New
York.
Auf
Mikrofilm
im
Stadtarchiv Laupheim,
17
Bänder,
Foto
aus 2/27.
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