Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung
Gedenkbuch Seiten 111 - 115
Ulmer Straße 69
KARL NEIDLINGER
Marco Bergmann, geb. 10.8.1878 in Laupheim, gest. 23.7.1952 in Ulm, OO Elsa Jenny Bergmann, geb. Oppenheim, geb. 4.3.1886, gest. 16.2.1956 in Frankfurt/M.
– Eleonore „Lore“ Bergmann, geb. 13.5.1907 in Laupheim,
– Paul Bergmann, geb. 21.6.1910 in Laupheim, gest. Dezember 1982,
– Ruth Friga Bergmann, geb. 23.9.1917 in München, gest. 31.2.2003.
Emigration der Familie zwischen 1933 und 1937 nach England bzw. später in die USA und nach Kanada.
"Villa
Bergmann“
ist die
ursprüngliche und eigentlich
richtige Bezeichnung
für
das markante
Gebäude an
der
Ulmer Straße,
das
heute
„Gregorianum“ oder
einfach Musikschule genannt
wird. Marco,
der
älteste
Sohn Anton
Bergmanns, errichtete
das
repräsentative Gebäude
inmitten eines
weitläufigen Parks
im Jahr
1912 als
Wohnsitz
für
seine
Familie,
ein
deutliches Zeichen der
Prosperität
vor dem Ersten
Weltkrieg.
Seine jüngeren
Brüder und
Cousins bauten
und wohnten
nicht mehr
so aufwendig,
sicher auch ein
Hinweis, dass in
den
Jahren vor dem
Ersten
Weltkrieg
der
Gipfelpunkt in
der
Geschichte der
Firma Bergmann
erreicht war.
Zu
Marcos Schulzeit
steckte die
Firma noch
in
den
Kinderschuhen. Für
eine lange
Schulausbildung der
Kinder
war noch
kein
Geld da,
und so
begann
er nach
vier Jahren
Lateinschule schon
mit der
Berufsausbildung.
Und das
bedeutete
für ihn wie
für alle
Bergmänner: Auf Reisen gehen,
Sprachen
lernen und die
Welt erkunden.
Marcos
„Wanderjahre“
führten ihn
nach
Frankreich,
nach Genf sowie
in die
Donaumonarchie Österreich-Ungarn.
Im Jahr
1904
wurde
er
zusammen
mit seinem Cousin
Theodor
in die
Firmenleitung aufgenommen
und 1907
wurden beide
zu gleichberechtigten
Teilhabern erhoben. Eine
Voraussetzung
dafür war seine
ein Jahr zuvor
gefeierte Hochzeit.
Das
Fest
fand in
Frankfurt/Main
statt, denn
seine
Frau
Else Oppenheim
stammte aus einer alten jüdischen
Frankfurter Patrizierfamilie.
Ausschnitt aus einem Gruppenfoto um 1900: Marco (ganz rechts)
stößt mit
Ludwig Stern
an, vor
ihm sitzt
sein Cousin
Theodor Bergmann.
Als
erster
in der
Familie und
lange Jahre
als
einziger
besaß Marco
einen
Autoführerschein,
und als
er sich
1908 einen
dunkelblauen
Opel kaufte, war
dies eines
der
ersten
Autos in
Laupheim.
Die Jungfernfahrt
von Ulm
nach
Laupheim
verlief
allerdings nicht ganz
reibungslos.
Der
Tank
war beim
Start nicht
mit der richtigen Mischung befüllt
worden und
in Dellmensingen
gab das neue
Auto schon auf. Niemand wusste, wie
es
weitergehen
sollte, da
kam zum
Glück eine
pferdebespannte Artillerieeinheit des
Wegs,
deren Offizier
Marco zufällig
kannte. Der lieh ihm
zwei
Pferde, die
vor das
neue Auto gespannt
wurden und
so kamen
sie,
von
zwei
PS gezogen,
doch noch heim.
Marco wird
von John
Bergmann als
großzügige, musikalisch
begabte,
künstlerisch und
kulturell
vielseitig interessierte
Persönlichkeit charakterisiert.
Er spielte selbst Geige und
versuchte in den
20er Jahren
erfolgreich, ein Orchester
in Laupheim
zusammenzustellen, das
mit
der Blaskapelle zusammen einmal
ein gemeinsames
Konzert
gab.
Ebenso
versuchte er, auswärtige Orchester
und Theatergruppen
zu
Aufführungen
nach Laupheim
zu
engagieren:
Dass sein Haus
heute die Städtische
Musikschule beherbergt, müsste
eigentlich ganz in
seinem Sinne sein.
Die
älteste
Tochter
Eleonore, genannt
Lore,
kam im
Jahr 1907
zur
Welt,
sie studierte nach dem
Abitur
Medizin. Der
1910
geborene
Sohn Paul
stieg nach
der Schule in die
elterliche
Firma
ein und
blieb dem
Haargeschäft als
einziger
der nächsten
Generation auf Dauer treu.
Die 1917
geborene
jüngste
Tochter
Ruth Frigga
war 1933
noch Schülerin
und konnte
daher in
Deutschland keine
Ausbildung
mehr beginnen.
Im Ersten
Weltkrieg
wurde auch Marco
1915
eingezogen,
zuerst zur Infanterie, danach
kam er
dank seines
Führerscheins
als Fahrer
zu einer
motorisierten
Einheit. Er
überstand
den Krieg
unversehrt.
Als nach
dem Krieg
bei der
Gründung der Weimarer Republik auch
die
Frauen
in Deutschland
erstmals das
aktive und
passive
Wahlrecht
erhielten, kandidierte
Elsa Bergmann auf einer
von ihr mit
initiierten
Frauenliste 1919 für
den Laupheimer
Gemeinderat. Sie
erzielte mit
809 Stimmen das beste Ergebnis auf
ihrer Liste,
verfehlte jedoch
den Einzug als
erste
Frau
in das
Stadtparlament knapp. „Stimmenkönig“
wurde bei dieser
ersten Kommunalwahl
nach dem Krieg
Max Bergmann
mit
2867 Stimmen.
Ex
libris für
Else
Bergmann von
Friedrich
Adler.
Eine kleine,
aber aussagekräftige
Begebenheit aus
der Weimarer
Zeit sei
am Rande hier erwähnt.
Im
Jahr
1929 feierte
der FV
Olympia
Laupheim
ein Jubiläum:
25
Jahre
Fußball in der Stadt
wurden
im
August
drei
Tage
lang
gefeiert.
Wie bei
solchen Gelegenheiten
üblich wurden
auch großzügig
Auszeichnungen, in diesem
Fall
silberne
Vereinsnadeln, verliehen.
Unter den
Ausgezeichneten waren Marco
und Max
Bergmann ebenso
Ehrenvorstand Mut
Steiner
und Sam Steiner.
Sie
waren
im
gleichen Verein,
erhielten die gleiche
Auszeichnung und kamen
möglicherweise
auch noch
ganz gut
aus mit Leuten wie Abdon
Lemmle,
dem ersten
NS- Ortsgruppenleiter,
oder Josef
Spleis, Otto
Miller,
Willy
Tröscher
oder Hugo
Raff,
die später
ebenfalls NS-Funktionsstellen
wie Block- oder
Zellenleiter
innehatten. Sie alle
wurden gemeinsam
geehrt und haben
sich vielleicht
auch
zu einem
gemeinsamen
Foto
aufgestellt. Gut
drei Jahre
später war
die Gemeinsamkeit aufs
Radikalste
zerstört...
Auch
Elsa Bergmann
betätigte sich
kulturell
vielseitig
in der
Gemeinde, obwohl sie
in ihren frühen
Jahren ausgesprochen antireligiös war.
So leitete
sie lange
Jahre den
israelitischen Frauenverein,
der es
als eine
seiner Hauptaufgaben betrachtete, „der Schuljugend
die religiösen Feste
eindrucksvoll
zu
gestalten“.
Ihre Nachfolgerin
in
diesem Amt
war Lina
Kaufmann.
Von
1928 bis
1934 war
Elsa
Bergmann
Vorstand
der Jüdischen
Frauenvereinigung in Württemberg.
Marco
Bergmann (rechts),
vor ihm
steht
Gemeinderat
Adolf
Scheffold.
Seit der
Gründung der
„Reichsvertretung
der Deutschen
Juden“ gehörte
sie als
eine von
drei Frauen
auch dieser
Organisation an. Die
„Reichsvertretung“ musste
1934 als
Dachorganisation der deutschen Juden
und Ansprechpartner
für die Nazi-Regierung
gebildet werden.
Elsa Bergmann
war
bei der
ersten
Versammlung
der Organisation am
11.
Februar
1934 in Berlin dabei,
neben so
bedeutenden
Persönlichkeiten
wie
Rabbiner
Leo
Baeck,
Martin
Buber und anderen
jüdischen Geistesgrößen,
insgesamt 52 Personen.
Bis zur
Emigration
arbeitete sie in
dieser
Vereinigung
mit.
Die
älteste
Tochter
Lore
war
vermutlich
die
erste
Laupheimerin,
die Deutschland 1933 aus
politischen
Gründen
verließ.
Sie hatte 1929 an
der Uni
Freiburg
das Physikum bestanden
und 1933 ihr
Medizinstudium
in München
abgeschlossen und
promoviert. Nun
ging sie
nach London, um dort
ihren Beruf
auch ausüben
zu können.
Ihre jüngere
Schwester Ruth
machte 1933
an der
Laupheimer
Latein- und Realschule
gerade erst die
Mittlere Reife.
Auf dem
Foto
ihrer
Klasse sitzt
sie ganz rechts, reifer und
älter als
ihre
Schulkameraden
wirkend. Die Namen
ihrer Mitschüler, von
links, stehend:
Anton Schick,
Eugen Sonntag,
Ludwig
Dobler, Bruno
Denser,
Hermann Zepf, Schneider
(Schwendi),
Fritz
Staub,
Karl
Baum. Sitzend:
Irene
Traub,
Liesl Hofheimer,
Karl
Müller,
Irene Adler,
Ruth Bergmann.
Der
politische
Überblick und
die
Erfahrungen,
die Else Bergmann
in den
Gesprächen
und Verhandlungen
der Reichsvertretung
mit den NS-Vertretern
sammeln konnte,
spielten sicher eine große Rolle
bei dem 1936
gefassten Entschluss der
restlichen
Familie,
aus
Deutschland zu
flüchten
anstatt eine reguläre
Emigration
zu
planen. Fast
ihr
ganzes
Hab und
Gut
ließen
sie zurück, denn Marco,
Elsa
und
Paul
Bergmann gelangten
im
Januar
1937 ohne
Einreisepapiere mit nur
wenigen
Koffern
und
einer
wertvollen Stradivari-Geige
im Gepäck
nach
London
bzw.
über Havanna in
die
USA.
Das
zurückgelassene
Eigentum wurde
später von
den deutschen
Behörden
beschlagnahmt.
Marco, der
schon in
Laupheim
teilweise
eigene geschäftliche
Wege
gegangen war, gründete nun
in
New
York
eine eigene
Haarveredlungsfirma,
in
die
nach seiner Rückkehr
als US-Soldat
aus dem
Krieg auch
sein Sohn
Paul
einstieg.
Diese lief
nicht
schlecht und
nach ihrer
Ankunft in
New
York fanden auch
seine Cousins
und
ehemaligen Partner
Max und
Edwin bei
ihm
zeitweise
Arbeit und
Unterstützung.
Da von
ihren
Kindern
niemand in
das Haargeschäft
einstieg,
war schon
vorgezeichnet,
wie es
nach der Restitution in
Laupheim weitergehen
würde: Die
Familie Marco Bergmann mit den
Teilhabern
Marco, Else,
Paul
und
Eleonore
führten die
Firma
Bergmann allein
weiter,
die Erben
der früheren
Teilhaber
wurden 1950 aus- bezahlt.
1954 wurde
ein weiterer
Partner,
Heinz
Freund,
hereingenommen.
Die
ganzen komplizierten
und belastenden
Restitutionsverhandlungen
nach dem Krieg in
Laupheim
lagen weitgehend
in den
Händen des
über siebzigjährigen
Marco Bergmann, ebenso
wie die
Wiederaufnahme
der Produktion
und des
Geschäftsbetriebs. Daher war
er schon bald
nach
Kriegsende wieder
viel mehr in
Laupheim als
in
New
York,
wo
sein Sohn Paul
allmählich
die
Leitung
übernahm. Doch
noch bis
1953
hieß
die
Laupheimer
Firma
„Württembergische
Haarfabrik“. Marco
erlebte es
also nicht
mehr, dass sie
wieder den
Namen „Bergmann“
erhielt:
Bei einem
tragischen Verkehrsunfall auf
der
Fahrt
von Ulm
nach
Laupheim
verunglückte
der 73jährige
am 22. Juni 1952
bei Dellmensingen
und wurde
mit schweren
Verletzungen
nach Ulm ins
Krankenhaus
eingeliefert, wo er
einen
Tag
später starb.
Sein Cousin
Max, der die
abgebildete
Todesanzeige
in der
„Schwäbischen Zeitung“
aufgegeben hatte, überlebte
ihn nur
um sechs
Wochen.
Marcos
Sohn
Paul
starb 72jährig
im
Dezember 1982
in New
York,
seither
sind seine Söhne
Peter und
Ronald
Mitinhaber der New
Yorker
und der
Laupheimer
Firma
Bergmann.
Quellen:
John
Bergmann,
The
Bergmanns
from Laupheim,
1983,
Museumsbestände,
unnummeriert, Archiv Theo
Miller,
John-Bergmann-Nachlass
im
Leo-Baeck-Institut
New
York.
Auf
Mikrofilm
im
Stadtarchiv Laupheim,
17
Bänder,
Foto
aus 2/27.
Sehr geehrte Frau Lincke, sehr geehrte
Vorstandsmitglieder ich schreibe
Ihnen mit der Bitte um Ihren Rat und eventuell Vermittlung im
Zusammenhang mit der Rückgabe von mutmaßlich unrechtmäßig erlangten
Gegenständen aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Mit freundlichen Grüßen Christoph Meyer
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister
Bergmann, sehr geehrter Herr Dr. Niemetz, mein Name ist Christoph Meyer. Ich habe
in den vergangenen Monaten mithilfe von Herrn Schick Kontakt mit
Anne Dorzback und der Familie Bergmann in den USA aufgenommen. Es
geht um die Rückgabe einer Gruppe von Elfenbeinfiguren, die in der
Nazizeit aus der Villa Bergmann in Laupheim gestohlen wurden. Ich möchte Ihnen gerne den Vorschlag
unterbreiten, diese Figuren an ihren Ursprungsort zurückzubringen
und in der heutigen Musikschule Gregorianum in einer Vitrine
auszustellen. Die Figuren befanden sich lange im
Besitz meiner Großtante in Stuttgart. Aus Erzählungen in der Familie
geht aber hervor, dass sie aus der Villa Bergmann geplündert wurden.
Ein Dokument, das ich kürzlich bei einer Archivrecherche finden
konnte, beweist zudem, dass meine Großtante in der Villa Bergmann
mehrmals übernachtet hat, als die Bergmanns bereits geflohen waren. Es war daher mein großer Wunsch, die
Figuren an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Die Erben von
Marco und Else Bergmann, die alle in den USA leben, nahmen mein
Angebot an. Allerdings gestaltete sich das als schwierig, da
Elefantenelfenbein unter sehr strenge Artenschutzauflagen fällt und
nur unter großer Mühe ausgeführt werden kann. Die Familie Bergmann
hat daher den Vorschlag gemacht, die Figuren an das Museum zur
Geschichte der Juden und Christen in Laupheim zu geben, in der
Hoffnung, dass sie dort einen Platz in der Dauerausstellung erhalten
könnten. Sie hatten mich darum gebeten, das in die Wege zu leiten. Herr Schick teilte mir jedoch kürzlich mit, dass dies kaum möglich sein wird, da die Dauerausstellung ein abgeschlossenes Konzept ist, wofür ich natürlich Verständnis habe. Daher kam mir der Einfall, dass man womöglich eine Vitrine mit den Figuren und ihrer Geschichte in der Musikschule aufstellen könnte. Dann wären sie wieder an dem Ort, von
dem sie einst gestohlen wurden und die Schüler des Gregorianum
hätten die Möglichkeit, sich mit der Geschichte des Gebäudes
auseinanderzusetzen, in dem sie lernen. Soweit ich weiß, gibt es
dort bisher auch keinen Hinweis auf die Geschichte der Villa
Bergmann. Ich hoffe, dieser Vorschlag ist in Ihrem
Sinne und freue mich, von Ihnen zu hören, mit freundlichen Grüßen Christoph Meyer
|
Christoph Meyer (2.v.l) übergab an die Familie Bergmann eingens angefertigte Dublicate der Elfenbeinfiguren.
Rückkehr der geraubten Elfenbeinfiguren
1937 konfiszierten die
Nationalsozialisten Hab und Gut des ins Ausland geflohenen jüdischen
Laupheimer Unternehmers Marco Bergmann. Dank einer hartnäckigen
Spurensuche wird ein Unrecht zurechtgerückt. Roland Ray Eine kunstvoll geschnitzte Dose aus Elfenbein hat Christoph Meyer als Kind fasziniert. Sie stand bei seiner Großtante „Liesel“, die im Raum Stuttgart lebte, im Wohnzimmer. Als sie 2001 starb, fragte ihr Sohn, Meyers Patenonkel, den damals 18-Jährigen, ob er aus dem Nachlass gerne ein Andenken hätte. „Die Dose fand ich immer so schön“, sagte der junge Mann. Die sei nicht mehr vorhanden, antwortete der Onkel und deutete, offenbar unangenehm berührt, eine unrühmliche Vorgeschichte an, mit einem jüdischen Fabrikanten und einer Villa in Laupheim. Foto: Im Ersten Weltkrieg wurde Marco Bergmann 1915 eingezogen. Er diente bei der Infrantrie, später als Kraftfahrer. Das Bild zeigt ihn und seine Frau Elsa.
Foto: Am nördlichen Stadtrand von Laupheim ließ der jüdische Unternehmer Marco Bergmann 1912 eine epräsentative Villa bauen. Das Foto stammt von 1914, der Park um das Haus wuchs damals noch heran. Mag sein, dass die Großtante die Versteigerung genutzt hat. Vielleicht hatte sie auch Zugang zu der zeitweise herrenlosen Villa, die nur wenige Meter von dem Haus entfernt liegt, in dem bis 1937 Kathi Nördlinger wohnte. Im Adressbuch von 1938 wird Nördlinger hingegen in der Ulmer Straße 64 – dem Bergmann-Anwesen – geführt. Der Lokalhistoriker Karl Neidlinger hält es für möglich, dass ihr dort ein Zimmer für kurze Zeit als Übergangsquartier diente. Ob es wohl Nachfahren gibt, denen man die Elfenbeinfiguren zurückgeben kann, fragte sich Christoph Meyer. Die Laupheimer Gesellschaft für Geschichte und Gedenken vermittelte ihn an Ann Dorzback; die 103-Jährige lebt in den USA, sie ist Marco Bergmanns Nichte. „Es war für mich sehr wichtig, mit jemandem zu sprechen, der die NS-Zeit durchlitten hat“, sagt Meyer. „Ich habe mich für meine Verwandten entschuldigt.“ Er betrachtet es als großes Glück, dass seine Suche erfolgreich war – „oft ist ja niemand mehr da“. Ann Dorzback stellte den Kontakt zu
Marcos Enkeln her. Einer von ihnen, Ron Bergmann aus New York, griff
den Faden auf und man kam überein, die Elfenbeinfiguren der Stadt
Laupheim als Dauerleihgabe anzubieten. Am 27. Januar, dem Gedenktag
für die Opfer des Nationalsozialismus, kehren sie an ihren früheren
Standort in der Villa Bergmann zurück, in der seit 1992 die
städtische Musikschule untergebracht ist. Sie werden in einer
Vitrine ausgestellt. Eine Tafel am Gebäude informiert künftig über
die wechselvolle Geschichte des Hauses und den Erbauer. Marco
Bergmann erkämpfte nach Kriegsende vor Gericht die Rückgabe der
zwischenzeitlich „arisierten“ Firma. 1952 starb er bei einem
Autounfall. Danach übernahm Heinrich Freund das Unternehmen, es
firmiert bis heute unter dem Gründernamen. Bis 2018 waren Angehörige
der Familie Bergmann stille Teilhaber. Vor allem aus China bezog seine Firma
unbehandeltes Menschenhaar, das gebleicht und gefärbt und danach zum
Beispiel für Haarnetze und Perücken verwendet wurde. Ob die Dose
Teil der Sammlung war, ist unklar; sie gilt als verschollen. Auf eigene Kosten haben Meyer und
Familienmitglieder im 3-D-Druck-Verfahren Kopien der
Elfenbeinfiguren herstellen lassen. Meyer möchte sie Ron Bergmann,
den er am 27. Januar in Laupheim trifft, schenken. |
Geraubte Elfenbeinfiguren wieder
in der Villa Bergmann Sieben Figuren aus Elfenbein, die einst von den Nazis zwangsversteigert wurden, sind seit Montag zurück in Laupheim. Das ist vor allem einem Mann zu verdanken. Anna Berger - Schwäbische Zeitung vom 29.01.2025 Laupheim Die Geschichte der sieben Elfenbeinfiguren, die einst von den Nazis aus der Villa Bergmann in Laupheim geraubt wurden, klingt wie aus einem Roman – mit allem, was dazu gehört. In der Geschichte geht es um Schuld und Wiedergutmachung, Glück und Zufall, Enttäuschung und Freude. Held dieser Geschichte ist Christoph Meyer, der als Auslandskorrespondent für die Deutsche Presse-Agentur in London arbeitet und getan hat, wovor sich viele sträuben: Er stellte sich der Vergangenheit und beschäftigte sich mit der Rolle, die seine Vorfahren in der NS-Zeit gespielt haben. Wenn auch nicht direkt beteiligt am Holocaust, so waren sie doch NSDAP-Mitglieder und, so beschreibt es Meyer, Anhänger einer menschenverachtenden Ideologie, die zur Ermordung von rund sechs Millionen Juden führte. Angetrieben wird die Geschichte durch das besagte Elfenbeinensemble, handgeschnitzte Figuren aus Japan, die der jüdische Fabrikant Marco Bergmann vermutlich von einer Geschäftsreise in Asien mit nach Laupheim gebracht hat, wo er Teilhaber der 1873 gegründeten Haarfabrik J. Bergmann & Co. war. Zwölf Stück sollen es ursprünglich gewesen sein. Laut Michael Niemetz, Leiter des Museums zur Geschichte von Christen und Juden, zierten sie in den 1930er-Jahren das elterliche Schlafzimmer in der Villa Bergmann in der Ulmer Straße 64. Wie die 1912 errichtete Villa selbst wurde das Inventar im Jahr 1937 von den NS-Behörden beschlagnahmt und zwangsversteigert. Marco Bergmann und seine Frau Else waren kurz zuvor vor den Nationalsozialisten in die USA geflüchtet. Am Montag, 27.01.2024, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, sind sieben Figuren aus der Sammlung an den rechtmäßigen Ort zurückgekehrt. In der Villa Bergmann, die heute die städtische Musikschule Gregorianum beherbergt, sind sie nun in einer Vitrine zu sehen. Die Enkel des einstigen Hausherren haben sie der Stadt als Dauerleihgabe überlassen. „Ich hoffe, dass diese wunderschönen Figuren hier so lange gezeigt werden wie möglich“, sagte Ron Bergmann bei der Übergabe im Namen seiner Familie. Sie stünden symbolisch für einen Akt der Versöhnung und dafür, dass es nur einen Menschen brauche, um diese Versöhnung zu ermöglichen. Für den Bergmann-Enkel ist dieser eine Mensch Christoph Meyer. Als „ausgezeichneter Rechercheur“ arbeitete er die Nazi-Vergangenheit seiner Vorfahren auf. Als er dabei auf sieben Elfenbeinfiguren stieß, machte er mithilfe der Laupheimer Gesellschaft für Geschichte und Gedenken die rechtmäßigen Besitzer der Nazi-Raubkunst in den USA aus. „Was ich über meine Familie herausgefunden habe, ist etwas, das ich mit Sicherheit mit Millionen von Menschen teile“, betonte Meyer auf Englisch, da die Nachfahren von Marco Bergmann größtenteils nur wenig Deutsch sprechen. Seine Geschichte, die für ihn in erster Linie eine persönliche ist, habe darum eine politische Dimension: „Es ist leicht, sich mit Erinnerungskultur zu beschäftigen, wenn man die Schuld auf andere abwälzen kann.“ Das hätten auch seine Vorfahren getan: „Sie haben den Eindruck vermittelt, dass sie sich nicht an dem Hass und der Verachtung in dieser Zeit beteiligt haben.“ Es habe ihn erschüttert herauszufinden, dass das eine Lüge war. Dass es in seiner Familie NS-Raubkunst gibt, erfuhr Meyer in Ansätzen bereits 2001. Damals war seine Großtante „Liesel“, zu der er ein sehr enges Verhältnis hatte, gestorben. Liesels Sohn, Meyers Patenonkel, habe ihn damals gefragt, ob es etwas gibt, das er gerne hätte aus deren Wohnung im Großraum Stuttgart. Da erinnerte er sich an eine handgeschnitzte Elfenbeindose, die er als Kind bewundert hatte. Als er danach fragte, reagierte sein Patenonkel jedoch kurz angebunden, erklärte, dass die Dose nicht mehr da sei und sie aus einer Villa jüdischer Fabrikanten stamme. Für ihn sei das Kapitel erstmal abgeschlossen gewesen, bis er rund 20 Jahre später während der Corona-Pandemie die Entnazifizierungsakten seiner Groß- und Urgroßeltern und seiner Großtante sichtete. „Ich habe meine Großtante geliebt. Für mich war sie die würdevollste Frau, die man sich vorstellen kann. Ich verdanke ihr viele meiner eigenen Werte.“ Es sei darum ein Schock für ihn gewesen, zu sehen, dass ihre Akte die dickste war. Er erfuhr, dass sie nach dem Krieg beschuldigt wurde, eine sehr enthusiastische Nationalsozialistin gewesen zu sein. „Herauszufinden, dass Menschen, die ich liebe und bewundere, von dieser Ideologie eingenommen waren, war eine sehr schmerzhafte Erfahrung für mich.“ Als er daraufhin nochmals das Gespräch mit seinem Patenonkel suchte, holte dieser die Elfenbeinfiguren aus der „Villa Bergmann“ vom Dachboden und übergab sie Meyer. Wie genau die Figuren in den Besitz seiner Großtante gelangt waren, konnte Meyer trotz weiterer Recherchen nicht herausfinden. Möglich sei, dass sie die Schnitzereien auf einer Zwangsversteigerung im Dezember 1937 in Ulm erworben hat, auf der das Inventar der Villa für gerade einmal fünf Prozent des tatsächlichen Wertes verscherbelt wurde. Vielleicht hatte sie aber auch Zugang zur zeitweise herrenlosen „Villa Bergmann“ nach der Flucht der Familie. Liesel habe in den 1930er-Jahren nämlich mehrfach ihren Verlobten in Laupheim besucht und sei während dieser Aufenthalte in der Villa untergekommen. Ihr späterer Schwiegervater arbeitete für die Haarfabrik und habe darum in dem Gebäude gelebt. Für ihn sei es jedoch nicht wichtig, wie seine Großtante an die Figuren gekommen ist. Was ihn beschäftigt ist, dass sie sie hatte: „Ich weiß nicht, wie sie darüber dachte. Aber sie hätte sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen müssen.“ Gleichzeitig empfindet Meyer es als Glück, dass etwas da war, was er zurückgeben konnte – und dass es noch Nachfahren gibt, die die Raubkunst entgegennehmen konnten. Nicht zufällig wurde für die Übergabe an die Stadt Laupheim der 27. Januar ausgewählt, der Tag, an dem sich die Befreiung von Auschwitz zum 80. Mal jährte. Dieser biete Anlass, an die Opfer nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu erinnern, wie Oberbürgermeister Ingo Bergmann betonte. Ähnlich formulierte das Ron Bergmann. Gleichzeitig hob er hervor, dass der Blick in die Vergangenheit immer auch mit der Gegenwart verknüpft werden müsse. „Was in diesen dunklen Tagen geschehen ist, geschieht auch heute, beispielsweise in Gaza.“ Dass die Figuren nun in einer Musikschule stehen, sei für ihn das Beste, das hätte passieren können. Zum einen würden sie jungen Menschen dort ein wichtiges Stück Geschichte lehren. Zum anderen sei die Villa seiner Großeltern ein Ort gewesen, der stets von Musik erfüllt war. Tatsächlich war die Familie Bergmann ihrerzeit im Besitz eines Steinway-Flügels, einer Stradivari-Geige sowie eines wertvollen Violin-Cellos, wie Musikschulleiter Tim Beck betonte, der bei der Veranstaltung die Moderation des Gesprächs zwischen Ron Bergmann und Christoph Meyer moderierte. Nur die Geige hätten sie damals bei ihrer Flucht mitnehmen können. Um an die Instrumente und die Musikbegeisterung der Bergmanns zu erinnern, hatte die Musikschule für die Übergabe der Figuren verschiedene Musikstücke mit jüdischem Hintergrund auf den jeweiligen Instrumenten vorbereitet, die von Helmuth Zeihsel (Klavier), Petr Hemmer (Violine) und Michael Strele (Cello) virtuos vorgetragen wurden. In seinem Resümee des Abends lenkte Beck den Blick nochmals auf Christoph Meyer: „Wenn wir alle ein Stück Christoph in uns haben, dann lernen wir, mit der Schande umzugehen.“ |
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