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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

Gedenkbuch Seiten 116 - 124

BERGMANN, Edwin,

Sebastianstraße 9

 

KARL NEIDLINGER 

 Edwin Bergmann, geb. 8.6.1881, gest. 6.6.1947, OO Paula Bergmann, geb. Stern, geb. 10.10. 1886, gest. 20.4.1979.
Rudolf Julius, geb. 14.11.1911, gest. 13.6.1971,
Margarethe Minnie, geb. 12.4.1914 - 25.7.2017
Walter Anton, geb. 17.8.1926, gest. 25. 12.2000.
Emigration/Flucht zwischen 1937 und 1939 nach England bzw. in die USA. 

In der kurzen, nur fünf Hausnummern umfassenden Sebastianistraße beim Stadtbahnhof wuchs die heute wohl bekannteste Vertreterin der Bergmann-Großfamilie auf: Gretel Lambert, geborene Bergmann, die talentierte Hochspringerin, die bei den Olympischen Spielen 1936 nicht starten durfte, obwohl sie eine sichere Medaillenanwärterin war. Ihr Vater Edwin, einer der vier Mitinhaber der Firma Bergmann, hatte das Haus kurz vor dem Ersten Weltkrieg gekauft. Sie habe es geliebt, darin zu leben und zu wohnen, schrieb Gretel Bergmann viele Jahre später, genauso wie sie das Leben in der kleinen Stadt Laupheim geliebt und genossen habe.

Ex libris von Friedrich Adler.

Da Gretel Bergmanns außerordentlich lesenswerte Erinnerungen in gedruckter Form vorliegen und daher gut zugänglich sind, wird das Kapitel über ihre Familie sich auf das Wesentliche beschränken.1)

 

Die Familie

Edwin Bergmann wird von seiner Tochter in warmen Tönen charakterisiert: Trotz seines Reichtums, den er nie zur Schau stellte, blieb er immer derselbe, ein zurückhaltender Mann mit viel Würde und ebenso viel schalkhaftem Sinn für Humor. In seiner Freizeit pflegte er viele Hobbies: Er fotografierte leidenschaftlich gern und entwickelte seine Fotos auch selbst, wozu er in seinem neuem Haus eine komplett eingerichtete Dunkelkammer besaß. Im Garten hinter dem Haus stand eine Werkbank, auf der er alles, was im Haus kaputt ging, selbst reparierte und auf der unter anderem das Marionettentheater seines ältesten Sohnes Rudolf mit allen Figuren entstand. Und nicht zuletzt der Garten selbst, in dem er Rosen züchtete, und der sich auf der anderen Straßenseite als großer Obst- und Gemüsegarten fortsetzte. Fast alles, was bei „Edwins auf den Tisch kam, stammte aus diesem Garten: Alle möglichen Beerensorten und Spalierobst machten dieses Grundstück zum Paradies für hungrige Kinder.“

Im Jahr 1910 hatte Edwin Bergmann Paula Stern aus Frankfurt, eine Schulfreundin von Marcos Frau Else Oppenheim, geheiratet. Sie schneidet in den Erinnerungen der Tochter etwas schlechter ab als der Vater, der in ihrem Leben „das stabilisierende Element gewesen sei. Zur Mutter war das Verhältnis lange Zeit eher gespannt. Diese, so schreibt Gretel Bergmann, sei als jüngstes von fünf Geschwistern in einer großbürgerlichen Familie sehr verwöhnt worden, was sich zeitlebens in einer übertriebenen Kränklichkeit bemerkbar gemacht habe. Sie war nur ungern aus Frankfurt in das Provinznest Laupheim gezogen und sah in ihrem Leben dort einen gesellschaftlichen Abstieg. Dafür wurde sie als Entschädigung von ihrem Mann nach Kräften verwöhnt. Außer dem täglichen Einkauf hatte sie dank mehrerer Hausangestellten wenig zu tun und trotzdem engagierte sie irgendwann zur Erziehung ihrer beiden aufmüpfigen Kinder eine Gouvernante – was aber nicht gut ging. Die zahlreichen Streiche der beiden gut miteinander klar kommenden älteren Kinder, an die sich Gretel in  ihrer Autobiografie erinnert, sprechen Bände. Häufige Konflikte zwischen Mutter und Kindern ergaben sich aus den sehr unterschiedlichen Modeauffassungen. Wenn Paula nach Frankfurt zu ihrer Mutter reiste, was sie mehrmals jährlich tat, brachte sie von dort jedesmal Kleidungsstücke für die Kinder mit, „die in der großen Welt zwar hochmodern, aber in Laupheim noch gänzlich unbekannt waren“. Die Kinder wollten aber keine modischen Vorreiter in der Stadt sein, sondern sich wie die anderen anziehen: Ein neuer, topmoderner Hut für Gretel, ein Mitbringsel aus Frankfurt, flog deswegen in hohem Bogen aus dem Fenster in den Straßenstaub und wurde nie getragen, ebenso wie eine neue Knickerbocker für Rudolf, der sich trotz Anwendung von Gewalt erfolgreich weigerte, darin auch nur einmal zur Schule zu gehen.

Als Paula Bergmann mit 39 Jahren nochmals schwanger wurde und der Sohn Walter sich ankündigte, begab sie sich zur Entbindung nach Frankfurt, da sie den Laupheimer Ärzten nicht traute. Nach der Geburt des Nachzüglers reduzierten sich die Konflikte zwischen Mutter und Tochter etwas, da der kleine Bruder die Aufmerksamkeit der Mutter beanspruchte.

 

 Paula und Edwin Bergmann.

Der Vater Edwin Bergmann hatte den Ersten Weltkrieg als Soldat hauptsächlich an der Westfront verbracht. Nachdem er 1918 unversehrt heimkehren konnte, ließ er als allererste Maßnahme eine Zentralheizung in sein Haus einbauen, denn er wollte nie mehr so frieren wie während des Stellungskriegs im Westen. Im familiären wie auch im geschäftlichen Bereich als einer der vier Teilhaber der Firma scheint er dank seiner ausgleichenden, zurückhaltenden Natur eine ähnliche, eher vermittelnde (nicht dominante) Rolle eingenommen zu haben.

 

Gretel Bergmann

Die vielseitige sportliche Begabung von Gretel Bergmann zeigte sich schon früh, und mit zehn Jahren hatte sie bereits ihre ersten Wettkämpfe gewonnen. Sie war keineswegs von vornherein auf die Hochsprung-Disziplin festgelegt, sondern testete bis aufs Geräteturnen „da waren mir meine langen Arme und Beine stets im Weg" so gut wie alle Sportarten aus. Es gibt vermutlich nur wenige Fotos aus den 20er Jahren, die überhaupt skifahrende Laupheimer zeigen doch bei den „Edwins versuchten sich alle drei Kinder, selbst der kleine Walter, um 1929 in dieser Sportart, wie das Foto zeigt.

Nicht so erfolgreich wie die Sportkarriere verlief Gretel Bergmanns Schullaufbahn. Weder an die jüdische einklassige Volksschule, in die sie mit sieben Jahren eintrat, noch an die Laupheimer Latein- und Realschule, die sie 1924 besuchte, noch an das Ulmer Mädchengymnasium, auf das sie 1930 gegen ihren Willen überwechseln musste, finden sich in ihren Memoiren irgendwelche positiven Erinnerungen. Die sportlichen Erfolge waren ihr immer wichtiger als die schulischen, daraus hat sie ihr Selbstbewusstsein gezogen. Dieses war so groß, dass sie als Abituraufsatz im Februar 1933 eine Satire über das erworbene, für das wirkliche Leben nutzlose Schulwissen ablieferte und prompt damit durchfiel. Gretel Bergmanns letztes Ulmer Schuljahr, das Jahr 1932, wurde „zum schönsten Jahr meines Lebens“: Nicht nur, weil sich das Ende der Schullaufbahn ankündigte und weil sie in Ulm ein Zimmer nehmen durfte, so dass das Pendeln wegfiel, sondern vor allem, weil sie Rudi kennen- und lieben gelernt hatte, einen sechs Jahre älteren Nichtjuden, der in Ulm als Graphiker arbeitete.
 „So tiefe Gefühle, so viel Glück und fürsorgliche Zärtlichkeit hatte ich bis dahin nicht gekannt . . . Wir waren einander so tief verbunden, dass bald schon Gedanken an eine – natürlich viel spätere – Heirat in unseren Köpfen spukten. Die Tatsache, dass ich jüdisch war und er nicht, spielte dabei überhaupt keine Rolle. Dass wir beide Mitglieder im UFV waren, machte die Beziehung noch besser. Die Heimfahrten nach dem Training waren unglaublich romantisch . . .“

Ihre Mitgliedschaft im Ulmer Fußball Verein“, dem UFV, war auf Vermittlung ihres in Ulm lebenden Onkels Karl Bergmann Anfang 1930 zustande gekommen, obwohl der damit verbundene Austritt aus dem Laupheimer Turnverein ihr sehr schwer fiel. Doch die Versprechen des Onkels, dort die besten Trainer zu bekommen und überhaupt viel bessere Bedingungen vorzufinden, überzeugten sie und sie bereute den Wechsel nicht. Am Ende der Leichtathletiksaison 1931 stand sie auf Platz vier der dreißig besten Sportlerinnen in Deutschland, zur Nummer eins fehlten ihr noch zwei Zentimeter im Hochsprung. Dass sie Ende 1932 auf Platz fünf zurückgefallen war, machte ihr dank Rudis Liebe und der Aussicht auf ein baldiges Ende der Schullaufbahn gar nichts aus. Im Sommersemester 1933, so rechnete sie fest, würde sie an der Berliner Hochschule für Leibesübungen mit dem Sportstudium beginnen.

 

"Wie konnte ein Jahr so wunderbar und das nächste so katastrophal sein?“

Im April 1933, wenige Tage vor ihrem 19. Geburtstag, wurde sie aus dem UFV ausgeschlossen und ihre sportliche Welt brach zusammen. Die Berliner Hochschule teilte ihr in Verkennung  der politischen  Realitäten mit, sie solle mit dem Studiumbeginn doch noch warten, „bis das alles vorüber ist“. Mit Rudi traf sie sich zwar weiterhin, doch es wurde für beide zunehmend gefährlicher und riskanter. Nach einer letzten gemeinsamen Nacht im Gartenhaus eines Freundes trennten sie sich:

„Wir waren zutiefst miteinander verbunden, aber der Wahnsinn der Zeit trennte uns . . . Wir umarmten uns wie für die Ewigkeit. Wir weinten. Wir küssten uns. Wir trennten uns. Wir gingen in entgegengesetzte Richtungen und wagten nicht zurückzuschauen. Wir haben uns nie wiedergesehen. Viele Jahre später erfuhr ich, dass Rudi sein Leben als Soldat in Hitlers Krieg verloren hatte.“

 

So kehrte Gretel Bergmann 1933 wieder nach Laupheim zurück, ebenso wie ihr Bruder Rudolph, der in Berlin bei Universal Pictures die Kunst des Filmemachens erlernt hatte. Ohne Zukunftsperspektive, von Liebeskummer geplagt und zunehmend isoliert von der nichtjüdischen Umwelt kam ihr diese Zeit in Laupheim wie der absolute Tiefpunkt in ihrem Leben vor. Im Herbst 1933 reifte der Entschluss zur Emigration nach England mit dem Ziel, dort die sportliche Karriere fortzusetzen. Mit Erfolg: Schon ein Jahr später wurde sie britische Meisterin im Hochsprung mit übersprungenen 1,55 Metern. Sie machte sich Hoffnungen, in die britische Olympiamannschaft für 1936 berufen zu werden, um es dann den Nazis richtig zeigen zu können.

Doch dann wurde sie gezwungen, nach Deutschland zurückzukehren. Ihr Vater selbst musste ihr die Nachricht überbringen und ihr sagen, dass die Nazis mit Sanktionen gegen die Familie und gegen die jüdischen Sportverbände drohten, falls sie in England bleiben würde. Zum zweiten Mal innerhalb von 15 Monaten wurde ihr Leben durch nackte Erpressung völlig auf den Kopf gestellt. Mit bösen Vorahnungen, doch ohne zu wissen was auf sie zukam, fuhr sie nach Deutschland zurück. Hitler brauchte die jüdische Ausnahmeathletin als Schachfigur für sein politisches Täuschungsmanöver, um die angedrohten Boykotte seiner Olympischen Spiele zu verhindern.

In der Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs war am 1. 6. 1934 folgende Nachricht zu lesen:

 

Als Kandidatin für die Olympiade wurde Gretel Bergmann nun zu verschiedenen Trainingslagern eingeladen, sie wurde als Schülerin in einer privaten Stuttgarter Sportschule aufgenommen und durfte bei diversen Wettkämpfen antreten, stets als einzige Jüdin. Bei einem dieser Trainingslager, im Jahr 1935 in Ettlingen, lernte sie dann ihren späteren Mann Bruno Lambert kennen. Im Juni 1936, drei Monate vor der Olympiade in Berlin übersprang sie mit 1,60 Meter den deutschen Rekord, eine Höhe, die damals weltweit nur drei Frauen geschafft hatten. Die Olympiateilnahme schien sicher doch einen Tag, nachdem sich die US-Olympiamannschaft am 15. Juli per Schiff auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte und die Boykottdrohung damit vom Tisch war, erhielt sie mit einem Schreiben vom 16. Juli 1936 eine Absage: Wegen ihren unbeständigen und nicht genügenden Leistungen könne sie nicht in die deutsche Olympiamannschaft aufgenommen werden.

 

Emigration bzw.  Flucht der Familie

Auf eine derart infame Art um die Chance ihres Lebens gebracht worden zu sein, erzeugte einen abgrundtiefen Hass in der ehrgeizigen Sportlerin. Nachdem sie sich zwei Wochen in absoluter Einsamkeit erholt hatte, war ihr klar, dass sie so schnell wie möglich aus Deutschland weg musste. Sie betrieb nun die Emigration nach den USA mit Nachdruck. Am 10. Mai 1937 konnte sie Deutschland endgültig verlassen, jedoch nicht ohne sich vorher nochmals mit Bruno Lambert getroffen zu haben, der nachkommen wollte, sobald sein Medizinstudium in der Schweiz abgeschlossen war. Als sie auf dem Ulmer Bahnhof am 9. Mai von ihrer Familie Abschied nehmen musste und ihr kleiner Bruder Walter vor Schmerz fast zusammenbrach, schwor sie sich, nie wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Drei Monate vorher schon, im Februar 1937, war ihr älterer Bruder Rudolph als erster der Familie nach den USA emigriert. Er hatte nach seiner Rückkehr nach Laupheim 1933 in der elterlichen Firma Arbeit gefunden. Mit seinen kreativen und künstlerischen Fähigkeiten engagierte er sich in dem auf Druck der NS-Behörden 1935 neu gebildeten „Jüdischen Kulturbund“, in dem praktisch alle jüdischen
Laupheimer Mitglied waren. Auch im „Jüdischen Jugendbund Laupheim“ war er bis zu seiner Emigration aktiv. Außer solchen genehmigten Vereinigungen durften andere Gruppierungen nicht mehr  bestehen. Alle  diese  Verbände mussten vierteljährlich die  genauen Mitgliederstände sowie alle Zu- und Abgänge genauestens an das Oberamt melden, was eine vollständige Erfassung und Überwachung der jüdischen Vereinigungen ermöglichen sollte. Aus einem solchen Meldebogen stammt die hier abgebildete Unterschrift Rudolph Bergmanns. Kurz vor seiner eigenen Emigration meldete er ans Oberamt zum 1.
Januar 1937 die Auflösung des jüdischen Jugendbundes Laupheim mangels Mitgliedern.

Auch die Eltern Edwin und Paula Bergmann engagierten sich in den zugelassenen Vereinigungen der ausgedünnten und schrumpfenden jüdischen Gemeinde. So taucht Edwin Bergmann als stellvertretender Vorstand des „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Ortsgruppe Laupheim“ ab 1935 auf, seine Frau Paula als Schriftführerin des Kulturbundes.

In der Pogromnacht 1938 wurde auch Edwin Bergmann verhaftet, mit den anderen Juden gedemütigt und am nächsten Tag ins KZ Dachau gebracht. Als er vier Wochen später entlassen wurde, war er krank und wog noch 40 kg. Wie die an- deren wollte auch er und seine Familie nur noch heraus aus Deutschland. Doch die Ausreisepapiere waren noch sehr unvollständig und die Reisepässe der international tätigen Unternehmer meist eingezogen, um eine Flucht zu verhindern. Als Edwin Bergmann Anfang Februar 1939 seinen Pass zurück bekam, weil er seine Arbeitserlaubnis in England verlängern lassen musste, nutzte er diese Chance zur Flucht.

Er und seine Frau Paula nahmen zu der Reise am 9. Februar nur kleines Handgepäck mit, um nicht aufzufallen. Sie fuhren zunächst nach Herrlingen, wo der jüngste Sohn Walter seit 1934 im Internat war, und trotz hohem Fieber wurde er mit nach Köln genommen, wo sie sich vom Bahnhof sofort weiter zum Flugplatz begaben. Alle drei bekamen trotz unvollständiger Papiere gleich einen Platz in einem Flugzeug nach London – Edwin Bergmann hat seinen Kindern nie erzählt, wie er das geschafft hatte.

Als in Laupheim die Schwägerin Thekla Bergmann bemerkte, dass die „Edwins“ weg waren, beging sie einen verhängnisvollen Fehler: Sie griff zum Telefon und wollte von der Gestapo wissen, warum die „Edwins“ ihre Ausreisepapiere schon bekommen hätten und sie noch nicht, obwohl sie doch auch verzweifelt darauf warte. Sie hatte nicht verstanden, daß die „Edwins“ geflohen und nicht legal ausgereist waren. Zum Glück saßen die „Edwins“ zu diesem Zeitpunkt bereits im Flugzeug oder waren in London schon gelandet, so dass die sofort eingeleitete Fahndung ergebnislos blieb. Von England aus war es sehr viel einfacher, Einreisegenehmigungen in die USA zu erhalten und im April 1940 war die ganze Familie in New York glücklich wieder vereint.

 

In den USA

Edwin Bergmann konnte mit Unterstützung seines Bruders Marco in der Haarveredelung eine Beschäftigung finden. Er starb jedoch schon 1947. Rudolph, seinem ältesten Sohn, gelang mit seinen sprachlichen und kreativen Fähigkeiten eine bemerkenswerte berufliche Karriere bei Radio und Fernsehen. Er begann als Stückeschreiber für Komödien und Unterhaltungssendungen und stieg bis zum Programmdirektor bei CBS auf. Schon bald nach seiner Ankunft in New York hatte er seine spätere Frau Ruth Valfer aus Kippenheim kennen gelernt. Zwei Kinder, die die schriftstellerischen Fähigkeiten des Vaters geerbt haben, gingen aus der Ehe hervor. Rudolph verstarb unerwartet während eines Italienurlaubs im Jahre 1971.

Gretel Bergmann versuchte sich in den USA zunächst mit den verschiedensten Jobs über Wasser zu halten, was nicht einfach war, da sie ja noch keinen Beruf erlernt hatte. Gleichzeitig versuchte sie, das notwendige Geld für das Affidavit das Konsulat forderte 2000 Dollar für ihren Freund Bruno Lambert zusammen zu bekommen und ihre Sportkarriere irgendwie fortzusetzen. Im Herbst 1937 nahm sie, ohne vorher viel trainiert zu haben, an den amerikanischen Leichtathletikmeisterschaften teil. Sie hatte schon bemerkt, dass das US-Niveau bei der Frauen-Leichtathletik damals unter dem europäischen lag, und so genügten ihr mittelmäßige Leistungen für  einen Doppelsieg: Im Hochsprung und im Kugelstoßen wurde sie 1937 US-Meisterin, ebenso 1938. Sie träumte schon von einer Olympiateilnahme als US-Bürgerin 1940, bis der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges diese Träume beendete.

Im August 1938 kam auch Bruno Lambert in die USA, nachdem er sein Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen hatte. Die Prüfungen musste er in den USA in Englisch wiederholen, um die Zulassung als Arzt zu bekommen.



Gretel Bergmann und Bruno Lambert in New York, 1938.

Walter Bergmann als US-Soldat.

Im Herbst 1938 heirateten die beiden, zwei Söhne, Glenn und Gary, entsprossen der Ehe. Direkt nach der Kriegserklärung Deutschlands an die USA am 11. Dez. 1941 meldete sich Bruno Lambert freiwillig bei der Armee, um gegen Deutschland zu kämpfen.  Als  Sanitätsoffizier der  US-Armee kam er mit den Befreiern wieder nach Deutschland und auch nach Andernach, in seine Heimatstadt. Seine Eltern, sie hatten nicht mehr emigrieren können, waren verschwunden. Nur ein einziger Jude, der in einer Mischehe lebte, war noch in der Stadt. Bruno wollte, wie seine Frau, nie mehr nach Deutschland zurückkehren.

Ebenso wie Bruno Lambert dienten auch Walter und Rudolf Bergmann während des Zweiten Weltkrieges als US-Soldaten und kehrten 1945 mit den Befreiern wieder nach Deutschland zurück. Das Foto auf Seite 123 zeigt Walter Bergmann im Jahr 1945, als er beim „Intelligence Army Corps“ in Deutschland eingesetzt war. Erst im Jahr 1999 hat Gretel Bergmann ihren Vorsatz gebrochen und besuchte nach 62 Jahren wieder Deutschland und ihre Geburtsstadt Laupheim. Die Bemühungen des damaligen Stadtrats Burkhard Volkholz und eine Einladung des NOK zu den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 hatten den Sinneswandel mit bewirkt. Sie war sehr froh, dieses Wagnis auf sich genommen zu haben, dadurch „ein Stück innerer Heilung und Frieden“ gewonnen zu haben und auch zu merken, „dass das heutige Deutschland meinen Hass nicht länger verdient“.

 

Das letzte Foto zeigt sie mit ihrem Sohn Gary und Bürgermeister Otmar Schick bei einer Pressekonferenz, die im Laupheimer Rathaus anlässlich dieses überregional beachteten Ereignisses abgehalten wurde.

 

  1)    Gretel Bergmann: „Ich war die große jüdische Hoffnung“ Erinnerungen einer außergewöhnlichen Sportlerin. Hrsg.: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, G. Braun Verl., Karlsruhe 2003. Alle Zitate hieraus.

 

Fotos: Bilderkammer Museum Laupheim

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