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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

Gedenkbuch Seiten  312 - 323

KAHN, Emil, Viehhandel,

Kapellenstraße 64

 

DR . ANTJE KÖHLERSCHMIDT

Emanuel, genannt Emil, Kahn, geb. am 5.6.1879 in Buttenhausen, gest. am 12.4.1940 in Laupheim, OO Sara, geb. Wertheimer, geb. am 1.3.1882 in Kippenheim, deportiert am 28.11.1941 aus Laupheim nach Riga,
[Heinrich, geb. 4.5.1920 in Laupheim, gest. 4.5.1920 in Laupheim,]
Julius, geb. am 5.7.1921 in Laupheim, deportiert am 28.11.1941 aus Laupheim nach Riga.
Schwester von Sara Kahn: Emilie Wertheimer, geb. am 1.5.1879 in Kippenheim, deportiert am 28.11.1941 aus Laupheim nach Riga. 

Emanuel Kahn wurde am 5. Juni 1879 als neuntes und letztes Kind des Metzgers Isaak Kahn und dessen Ehefrau Fanny, geb. Bernheimer, in Buttenhausen geboren. Er wuchs in der jüdischen Landgemeinde Buttenhausen auf und besuchte die jüdische Volksschule des Ortes. Über seinen weiteren Lebensweg ist zunächst wenig bekannt. Emanuel wurde Emil genannt. Diesen Rufnamen verwendete er selbst bei Unterschriften und als solcher ist er in den Eintragungen des Standesamtes Laupheim vermerkt. Dort ist als Beruf Metzger angegeben. Demnach dürfte er also zunächst das Handwerk seines Vaters erlernt haben. Später war er als Viehhändler tätig.1)

In seinem Geburtsort Buttenhausen gab es diverse jüdische Viehhändler wie Max Marx oder die Gebrüder Löwenthal, deren Handelskontakte bis nach Bayern und ins Rheinland reichten. Es ist denkbar, dass Emil Kahn bereits bei einem der dort ansässigen Viehhändler tätig geworden ist. Dieser dürfte dem jungen Mann eine spannende Reisetätigkeit geboten haben, die ihn aus der abgelegenen Landgemeinde Buttenhausen auf der Schwäbischen Alb geführt hat. Einen Beleg für Kontakte zwischen Emil Kahn und dem Viehhändler Salomon Löwenthal aus Buttenhausen gibt es allerdings erst aus dem Jahr 1935.2)

Am 22. August 1904 heiratete der 26jährige Emil Kahn in Laupheim Frida Guggenheim, die am 22. August 1877 in Laupheim geboren wurde. Das Paar wohnte in Laupheim. Frida verstarb bereits im ersten Ehejahr am 8. Februar 1905 infolge einer Geburt, die wohl auch das Kind nicht überlebt hatte, und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim (S. 21/2) begraben. Emil Kahn blieb in Laupheim wohnhaft und schloss am 3. September 1906 mit der in Kippenheim geborenen Sara Wertheimer die Ehe. Seine zweite Ehe blieb zunächst 14 Jahre kinderlos.3) Emil Kahn rückte bereits 37jährig am 21. August 1916 ins Heer ein und leistete als Fahrer seinen Anteil am 1. Weltkrieg für das Deutsche Reich. Am 1. März 1918 wurde er in Geislingen entlassen.

(Foto: K. Neidlinger)

 

Das Haus Kapellenstraße 64

Emil Kahn kaufte am 30. Juni 1917 von Berthold Friedberger das Haus Nr. 64 in der Kapellenstraße. Zum Grundstück mit 686 m2 gehörten das Gebäude Nr. 64, d. h. Wohnhaus, Hopfenmagazin und Hofraum.

Das Foto zeigt das von Emil Kahn erworbene Hopfenmagazin, das als letztes in Laupheim noch existiert. Das fehlende Fachwerk auf der rechten Seite weist darauf hin, dass sich dort ursprünglich die Hopfendarre befunden hatte. Die Nutzung als Pferdestall ist an den im Erdgeschoss an den Außenseiten vorhandenen Futtertrögen ersichtlich. Ein Mittelgang trennte die eingestellten Pferde.

Der hinter dem Hopfenmagazin liegende Gemüsegarten in der Größe von 226 m2 ging ebenfalls in seinen Besitz über. Den Kaufpreis von 18 500 Mark brachte der Käufer wie auch heute üblich z. T. über Hypotheken auf.

Von besonderem Interesse ist dazu eine Erklärung Emil Kahns vom 22. Juli 1924 gegenüber dem Grundbuchamt, dass er „dem Karl Lämmle, Filmfabrikant in New York ein bares Darlehen von 1200 Dollar U.S.A.-Währung schuldig geworden ist. Das Darlehen ist vom August 1924 ab zu 7 Prozent halbjährlich zu verzinsen und zahlbar auf den 1. August und 1. Februar und zwar erstmals auf 1. Februar 1925 und rückzahlbar auf 1. August 1925 in amerikanischer Währung.“4)

Dem Darlehen waren die Krisen- und Inflationsjahre mit ihrem Höhepunkt 1923 vorangegangen, die die Stadt Laupheim und ihre Bewohner schwer gebeutelt hatten. Karl Lämmle hatte bereits 1920 mit einem Grundkapital von 100 000 Mark den Grundstock für eine Armenstiftung gelegt. Bis 1922 sammelte und spendete er 400 000 Mark. 1923 rief er in Amerika zu Kleiderspenden auf. Im Folgejahr finanzierte er den Laupheimern eine öffentliche Badeeinrichtung, die nach ihm benannt wurde. In den Rahmen dieser Aktivitäten lässt sich das relativ günstige Darlehen an Emil Kahn einordnen.

In diesem Haus wurde nach 14 Jahren Ehe dem Paar Emil und Sara Kahn am 4. Mai 1920 ein Sohn Namens Heinrich geboren, der jedoch noch am selben Tag verstarb. Im Jahr darauf kam schließlich am 5. Juli Julius Kahn auf die Welt, der seinen Eltern Zeit seines Lebens aufs Engste verbunden blieb.

 

Der Pferdehandel

Das ehemalige Hopfenmagazin in der Kapellenstraße wurde, wie bis heute ersichtlich, zu Stallungen umgebaut, in denen das Vieh für den Handel untergestellt wurde. Emil Kahn war in Laupheim vornehmlich als Pferdehändler tätig.

Im Laupheimer Verkündiger“ aus dem Jahr 1923 machte das Amtsgericht bekannt, dass ab 4. Mai 1923 die beiden Pferdehändler Emil Kahn und Max Obernauer als Gesellschafter eine offene Handelsgesellschaft führten. Dementsprechend traten die beiden in Anzeigen des Jahres gemeinsam auf. Wie lange beide den Pferdehandel ge- meinschaftlich führten, ließ sich nicht ermitteln. In Laupheim gab es im Jahr 1929 noch 24 Viehhändler, wovon 17 Juden waren. Emil Kahn zählte zu ihnen. Der Viehhandel war in Oberschwaben, auf der Schwäbischen Alb und im Voralpenland überwiegend in der Hand jüdischer Viehhändler, die mit der katholischen Landbevölkerung Bauern und Handwerker Geschäfte schlossen. Dies war eine bewährte, bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreichende Praxis. Darüber hinaus waren die jüdischen Viehhändler auch auf dem Laupheimer Viehmarkt und auf den Märkten der Umgebung vertreten.

In der Zeit der Inflation 1923 richtete die Firma Kahn und Obernauer wie viele Firmen christlicher bzw. jüdischer Inhaber und Privatpersonen finanzielle Spenden an die Kinderspeisung Laupheim. So konnte dank der Geld-, Sach- und Lebensmittelspenden im Dezember 1923 eine Suppenküche für 100 Kinder und 94 alte Personen auf private Initiative betrieben werden, um den Bedürftigsten gemeinschaftlich zu helfen.5) 

Jahrgängertreffen am 25. August 1929

In Laupheim hatten und haben Jahrgängertreffen eine lange Tradition, die Alters- genossen und Schulkameraden aus nah und fern zusammenführen. Auch auswärtige Jahrgänger, die in Laupheim heimisch geworden sind, schlossen und schließen sich diesen an.

Auf dem folgenden Foto, das anläßlich der Fünfzigerfeier des Geburtsjahrganges 1879 am 25. August 1929 vor dem Portal der alten Volksschule aufgenommen worden ist, steht Emil Kahn in der fünften Reihe ganz rechts mit 41 Männern und 33 Frauen seines Jahrgangs. Unter ihnen waren auch Ruth Steiner (2. Reihe, 6. von links) und Max Bergmann (4. Reihe, 5. von links). Dies ist ein eindeutiges Zeugnis der Koexistenz von Christen und Juden in Laupheim, die jedoch wenige Jahre später zerbrechen wird.6)

 

 

Der Werdegang des Sohnes Julius Kahn

Nach den ersten Lebensjahren im elterlichen Haus dürfte Julius in den Jahren 1928 bis 1932 die einklassige jüdische Volksschule in der Radstraße besucht haben. Die Schule wurde zu dieser Zeit wegen der verminderten Zahl an jüdischen Schülern nur noch als Privatschule geführt. So gab es neben Julius nur noch zwei weitere gebürtige Laupheimer Juden seines Jahrgangs, nämlich Nanny Einstein und Rudolf Einstein.

Das am 21. Februar 1929 aufgenommene Foto zeigt die Schüler der israelitischen Volksschule. Es schaut eine kostümierte Kinderschar mit ihrem Lehrer Einstein in die Kamera, die in der Judenschule Purim feierte. Zu sehen sind in der 1. Reihe, von links: Rudolf Einstein, Julius Kahn, Kurt Sternschein; in der 2. Reihe, von links: Emil Obernauer, Nanny Einstein, Max Bach, Ruth Friedland, Hugo Obernauer; in der 3. Reihe, von links: Gertrud Epstein, Lore Adler, Henny Laupheimer, Marianne Heumann und Lehrer Hermann Einstein.7)

 

Gemeinsam mit Rudolf Einstein besuchte Julius Kahn ab 1932 die Klasse der weiterführenden Realschule mit Lateinabteilung. Auf dem Klassenfoto sitzen Rudolf Einstein (links) und Julius Kahn (rechts am Gang) hinter den Mädchen. Ihr Verhältnis zu den christlichen Mitschülern wurde von Rudolf Einstein als gut beschrieben, sie hätten sich akzeptiert gefühlt. 8)

 

Die Zeit nach 1933

Mit dem Machtwechsel im Januar 1933 veränderte sich das Verhältnis zu einigen Lehrern und Mitschülern.

Rudolf Einstein erinnert sich:

„Dann haben wir einen Lehrer gehabt, einen ganz gemeinen Kerl, einen Studienrat Krug . . . das war ein ganz schöner Antisemit. Damals schon . . . Julius Kahn war ein Schulkamerad. Er ist immer geschlagen worden und hatte immer geschwollene Hände. . . . Der Julius war ein armer Kerl, hat die Dinger (Tatzen, d. V.) auf den Arsch Entschuldigung und auf die Hände gekriegt, waren immer geschwollen.“9)
 

Ob die Schläge direkte antisemitische Beweggründe gehabt haben, ist heute schwerlich nachvollziehbar, da das Prügeln grundsätzlich gestattet war und von einzelnen Lehrern exzessiv angewandt wurde. Es ist möglich, dass Julius Kahn als der sozial vermeintlich schwächere der beiden jüdischen Schüler zum Prügelknaben geworden ist. Er galt als ein ruhiger, etwas phlegmatischer Junge, der gerne und viel gelesen hat. Aus der Schulbibliothek lieh er sich vor allem Karl-May-Bücher aus, von denen er jeden Band gekannt habe. Julius war wohl eher mäßig sportlich, spielte aber trotzdem sehr gern Fußball, den die jüdischen Schüler auf einem eigenen Sportplatz in der „Neuen Welt spielten. Organisiert wurde dies von der Jugendabteilung des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, wie sich Prof. Ernst Bergmann erinnerte.10)

Im Schuljahr 1935/36 wurde Julius Kahn von den Lehrern wie folgt beurteilt:

„Kräftig, aber in den Leibesübungen nicht sehr gewandt. Fleiss mangelhaft, namentlich ungeordnete Heftführung. Betragen gut, kann nicht versetzt werden. G.L. nicht genügend.“11) Mit dieser Nichtversetzung wurde er am 31. April 1936 nach Hause entlassen. Ob er zurecht wegen mangelnder Leistungen nicht versetzt worden ist, ist nicht zu klären. Doch fällt bei der Beurteilung auf, dass dem jüdischen Jungen sogenannte deutsche Tugenden abgesprochen wurden. Julius Kahn blieben für seinen weiteren Werdegang kaum Wahlmöglichkeiten. Lehrstellen für jüdische Jungen gab es kaum. Julius begann bei der Firma Menz auf dem Judenberg eine Ausbildung zum Maler. Diese Tätigkeit übte er auch in der Folgezeit in Laupheim aus. Ein Ausweis, ausgestellt vom Bürgermeister am 5. September 1939 gestattete ihm, sich vom 5. bis 16. September 1939 zwecks Malerarbeiten im israelitischen Altersheim auf den Straßen aufzuhalten.12)

  

Dieser Ausweis für Julius Kahn ist ein Beleg für die Schikanen, denen die noch hier verbliebenen jüdischen Laupheimer unterworfen waren. Ohne einen gesonderten Ausweis war es ihnen also nicht mehr möglich sich in ihrer Heimatstadt frei zu bewegen.

Sein Vater Emil Kahn blieb zeit seines Lebens im Pferde- und Viehhandel tätig und hat die Beschränkungen, die jüdische Viehhändler ab 1933 durch die Nationalso- zialisten in zunehmendem Maße erleben mussten, selbst erfahren. Die massive Hetze gegen jüdische Geschäftsleute führte zu nachweislichen Umsatzrückgängen in jüdischen Unternehmen. Dies betraf auch Emil Kahns Handelstätigkeit.

Zahlte er 1933 noch 830 RM Gewerbesteuer, so waren es 1934 nur noch 50 RM. Der Rückgang um 780 RM lässt erahnen, dass sein Geschäft demzufolge einem bedrohlichen Niedergang unterworfen war. Damit wurde ihm und seiner Familie durch die nationalsozialistische Politik und Propaganda sukzessive die Existenzgrundlage entzogen.13)


Einem Zeitungsartikel vom 25. Januar 1935 im Ulmer Tagblatt zufolge wurden vor der Großen Strafkammer in Münster in Westfalen acht jüdische Viehhändler angeklagt, unter ihnen Emil Kahn. Der abgedruckte Artikel ist mit dem polemischen Titel Jüdische Devisenschieber vor Gericht und macht die propagandistische Zielrichtung klar deutlich: jüdische Viehhändler zu diskreditieren. Hinter- grund der Anklage waren Geschäfte mit einem holländischen Viehhändler aus den Jahren 1931 bis 1933, bei denen es um die Einfuhr holländischer Pferde nach Deutschland ging. Diese verdeutlichen die internationale Dimension der Geschäftsbeziehungen jüdischer Viehhändler.

Das Strafmaß für Emil Kahn blieb mit einer Geldstrafe von 3500 Mark, ersatz- weise 2 Monate Gefängnis, weit hinter den Forderungen des Staatsanwaltes, der 8 Monate Gefängnis und 20 000 Mark verlangt hatte.14)

Dennoch war Emil Kahn wie Max Obernauer, Ludwig Stern, Berthold Friedberger, Julius Laupheimer, Max Rieser und Benno Ullmann in Laupheim weiter als Viehhändler tätig. Das war möglich, da langjährige Geschäftsbeziehungen zu den Bauern bestanden. Darauf weist ein Schreiben des Württ. Oberamtes mit der Bitte um Veröffentlichung an den Laupheimer Kurier“ vom 13. Februar 1936 hin.

 

Jüdische Viehhändler! Ulm, den 6. 2. 1936
Es herrscht immer noch die Unsitte, daß jüdische Viehhändler deutsche Bauern beim Viehhandel, namentlich aber auf Viehmärkten mit „Du“ anreden.
Im Ansehen der deutschen Bauernschaft sehe ich mich genötigt, diese Unsitte zu untersagen und ich werde jeden jüdischen Viehhändler, der einen deutschen Bauern, Bäuerin oder deren erwachsene Kinder mit „Du“ anredet, wegen groben Unfugs in Strafe nehmen.
(gez.) Dreher Polizeidirektor und Vorstand der Außenstelle Ulm des Württ. Polit. Landespolizeiamts15)
  

Am 9. April 1937 wurde den jüdischen Viehhändlern laut Beschluss des Gemeinderates von Laupheim auf den Jahrmärkten in Laupheim ein Platz an gesonderter Stelle zugewiesen. In Biberach waren jüdische Viehhändler bereits ab dem 12. März 1937 von den dortigen Vieh- und Pferdemärkten per Verfügung vom Bürgermeister ausgeschlossen worden.16) Doch auch in Laupheim war es nur eine Frage der Zeit, bis es so weit sein sollte.

Emil Kahn hatte beim Verkauf seines Hauses im Juli 1938 erklärt, „daß er auf eigene Rechnung schon seit einem Jahre ungefähr keinen Pferdehandel mehr betreibe, er sei bei dem Vieh- und Pferdehändler Ludwig Stern als Unterhändler beschäftigt“. Er besaß eine Gewerbelegitimationskarte, die am 7. März 1938 in Laupheim auf seinen Namen ausgestellt worden ist und ihm für die Dauer von 12 Monaten den Vieh- und Pferdehandel gestattete. Allerdings wird er selbst als Inhaber der Firma angezeigt.17)

Im Oktober 1938 wurden ihm und den oben genannten Laupheimer Viehhändlern die Gewerbelegitimationskarten bzw. Wandergewerbescheine gemäß des Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 6. Juli 1938 (RGBl. I S. 823) entzogen und diese waren an das Landratsamt zurückzugeben. Die eingezogene Gewerbelegitimationskarte Emil Kahns ist bis heute im Archiv des Landratsamtes Biberach. Das Passfoto von Emil Kahn (rechts) stammt aus jener Karte.

Danach war es den jüdischen Viehhändlern noch erlaubt, den Viehhandel als „stehendes Gewerbe“ zu betreiben, das heißt der An- und Verkauf von Vieh hatte auf dem Hof des Händlers zu erfolgen, An- und Verkauf auf den Bauernhöfen war verboten. Das bedeutete praktisch das Aus für die jüdischen Viehhändler.18)

Der Hausverkauf

Wie den meisten anderen Juden blieb den Kahns nicht erspart, ihr Haus verkaufen zu müssen. Durch die Beschränkungen der Nazis war es ihnen in den zurückliegenden fünf Jahren sicher nur schwer möglich, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Es ist wahrscheinlich, dass die Kahns zum einen Geld für den Lebensunterhalt brauchten, zum anderen ihre Auswanderung vorbereiteten. Am 27. Juli 1938 ver- äußerte es Emil Kahn an zwei Pferdehändler aus Memmingen für 14 000 RM. Schätzungen eines Immobilienmaklers im Auftrag der Stadt Laupheim 1946 zufolge waren das 10 000 RM zu wenig. Vertraglich war den Kahns das Nutzungsrecht für die im ersten Stock befindliche Wohnung, bestehend aus vier Zimmern und einer Küche, bis zum 1. September 1939 gegen die Zahlung eines noch zu vereinbarenden Mietzinses zugesichert worden. Sie blieben wohl bis zum Tod bzw. ihrer Deportation im November 1941 dort wohnen.19)

 

Reichspogromnacht 9./10. November 1938 und „Schutzhaft im KZ Dachau

Als in den frühen Morgenstunden des 10. November 1938 in Laupheim die Synagoge brannte, gehörten Emil und Julius Kahn zu den jüdischen Männern, die von der SA aus dem Haus geholt worden waren und gezwungen wurden, das Niederbrennen ihres Gotteshauses anzusehen. Laut Augenzeugen schikanierten die SA-Leute sie dort und später in der Schranne mit diversen Übungen, bevor sie ins Amtsgefängnis von Laupheim gebracht wurden. Die beiden gehörten zu den 17 jüdischen Männern, die als sogenannte „Schutzhäftlinge“ in das KZ Dachau überstellt und inhaftiert wurden.

Die in Laupheim zurückgebliebene Sara Kahn musste während der Haftzeit ihres Mannes und ihres Sohnes am 30. November 1938 eine Hausdurchsuchung erleben, die bei einem Großteil der Inhaftierten durchgeführt wurde.

Am 29. Dezember 1938 wurde der damals 59jährige Emil Kahn entlassen, sein erst 17jähriger Sohn Julius kam schließlich am 9. Januar 1939 wieder frei. Was sie dort erlebt und erlitten haben, ist nicht aus ihrer Hand überliefert.

Es ist in Anträgen, die im Stadtarchiv Laupheim bewahrt wurden, belegt, dass Emil, Sara und Julius Kahn sich um eine Auswanderung bemühten. In einem Schreiben an den Landrat vom 4. Oktober 1938 heißt es: „(Julius d. V.) Kahn beabsichtigt, bis zum Jahre 1939 nach Frankreich auszuwandern.“ Warum ihr Bemühen um Auswanderung letztlich scheiterte, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Es werden mehrere Aspekte eine Rolle gespielt haben, so der schlechte Gesundheitszustand Emil Kahns, die miserable finanzielle Situation der Familie, Auswanderungshürden in Form von fehlenden Genehmigungen, Visa u.a.20)

Zum Jahrestag der Reichspogromnacht1939 wurden erneut 13 jüdische Männer von der Laupheimer Polizei mit Unterstützung von SS-Männern und Arbeitsdienst verhaftet und im Amtsgefängnis untergebracht. Zu ihnen zählte Julius Kahn, der dann am 25. November 1939 wieder entlassen wurde.

Der Vater Emil Kahn war von dieser Aktion ausgenommen. Sein Alter dürfte dabei kaum eine Rolle gespielt haben, denn unter den erneut in Haft genommenen waren mit Edmund Adler, Julius Levy, Louis Löwenthal, Jonas Weil und Ludwig Stern zum Teil deutlich ältere Juden. Demnach wird er ernsthafte gesundheitliche Probleme gehabt haben.21) Sein Tod im Alter von 62 Jahren am 12. April 1940, also fünf Monate später, scheint dies zu bestätigen. Emil Kahn wurde auf dem jüdischen Friedhof Laupheim begraben, N 28/9.22)

 

Emilie Wertheimer

Der jüdische Rechtsanwalt Ernst Moos aus Ulm stellte am 17. Mai 1940 den Antrag an den Landrat in Biberach um Erlaubnis des Zuzuges von Emilie Wertheimer zu ihrer verwitweten Schwester Sara Kahn. Das Schreiben macht die wohl einzigen Aussagen über Sara Kahn persönlich, die trotz intensiver Recherche zu finden waren.

Frau Kahn in Laupheim, die Schwester der Obengenannten ist seit vorigem Monat verwitwet und selbst sehr leidend. Außer ihrem einzigen Sohn, der als Malergehilfe in Arbeit steht, hat sie keinerlei Angehörige zu ihrer Pflege. Es wäre daher sehr erwünscht, wenn ihre Schwester bis zu deren bevorstehender Auswanderung zu ihr ziehen könnte, um die alleinstehende kranke Frau zu versorgen.
Da Fräulein Wertheimer im Schlafzimmer der Frau Kahn schlafen kann und das gemeinsame Wohnzimmer mitbenützt, benötigt sie keinen eigenen Wohnraum.“

Nachdem die Gestapo keine Einwände dagegen erhoben hatte, wurde der als vorübergehend angekündigte Zuzug vom Landrat in Biberach genehmigt. Emilie Wertheimer gelang es nicht mehr, dem nach Amerika ausgewanderten Bruder zu folgen. Gleiches gilt für ihre Schwester Sara Kahn und ihren Neffen Julius Kahn. Bis zu ihrer gemeinsamen Deportation im November 1941 wohnten sie in der Wohnung ihres ehemaligen Hauses in der Kapellenstraße 64.23)

 

Die Deportation am 28. November 1941 nach Riga

Sara und Julius Kahn sowie Emilie Wertheimer wurden dem ersten von vier aus Laupheim abgehenden Deportationszügen zugeordnet. Am 28. November 1941 wurden sie unter dem Deckmantel der Umsiedlung“ der Juden in den Osten zum Westbahnhof geleitet. Auf den Fotodokumenten, die an jenem Tag am Laupheimer Westbahnhof aufgenommen worden sind, ist Julius Kahn als der einzige junge Mann im Alter von nur 20 Jahren schnell zu identifizieren.

 

In einer Reihe stehend werden die beiden Frauen, die auf einer Höhe mit ihm stehen, seine Mutter und seine Tante gewesen sein. Es sind die letzten Zeugnisse ihres Lebens.

Per Bahn wurden sie nach Stuttgart zum Killesberg verbracht, von wo am 1. Dezember ein Zug mit 1013 Deportierten Juden aus Württemberg nach Riga abging. Er traf am 4. Dezember dort ein.24) Das Schicksal von Emilie Wertheimer, Sara und Julius Kahn verliert sich damit. Welch ein schreckliches Ende sie genommen haben, lässt sich nur erahnen.


 

 

 

Julius Kahn, links, hinter dem Gepäckwagen.

 

Quellen:

1) Standesamt Laupheim. Familienregister Bd. V

2) Juden in Buttenhausen. Ständige Ausstellung in der Bernheimer'schen Realschule Buttenhausen. Bd. 3

Schriftenreihe Stadtarchiv Münsingen. Hrsg. v.