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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

Gedenkbuch Seiten  308 - 311

ISAY, Rosa und Karoline,

Kapellenstraße 58

 

DR . ANTJE HLERSCHMIDT

[Isidor Isay, geb. 30.12.1863 in Schweich, Bez. Trier, gest. 14.6.1891 in Pittsburg], OO Rosa, geb. Bernheim, geb. 26.9.1863 in Laupheim, gest. 24.7.1939,
Karoline, genannt Carry, Isay, geb. 16.4.1891 in Pittsburg, Deportation am 28.11.1941 nach Riga, umgekommen am 15.12.1941 in Riga. 



Das nebenstehende Porträt zeigt Rosa Isay ganz eindrucksvoll. Sie erscheint nicht nur für den Anlass des Fotografierens schick hergerichtet, sondern schaut ruhig, freundlich und souverän. Welche Charakterzüge und Verhaltensweisen sie wirklich auszeichneten, wird im Dunkeln bleiben, da die Biografie von Rosa Isay leider nur in ganz groben Zügen rekonstruierbar gewesen ist. Doch die wenigen bekannten Daten deuten an, dass sie ein recht wechselvolles Leben geführt hat. Leider bleiben viele Fragen offen, was dem Leser großen Freiraum für eigene Überlegungen lässt.

Rosa wurde am 26. Dezember 1863 in Laupheim als Tochter der ledigen Babette Bernheim (1838–1893) geboren. Ihre Mutter wurde Peppi Bernheim genannt und ist unter diesem Namen auf dem jüdischen Friedhof, Grab S 17/3, in Laupheim begraben. Rosa wuchs in Laupheim auf. Am 15. Juni 1890 heiratete sie in Pittsburg Isidor Isay, geboren am 30. Dezember 1863 in Schweich, Bezirk Trier. Er stammte wie sie aus Deutschland, jedoch aus dem Preußischen, wie ein Hinweis in den Standesamtsakten verriet. Völlig offen ist, wie und wo sich beide kennengelernt haben und warum es sie in die USA nach Pittsburg verschlug.

Die Aus- und Abwanderung jüdischer Bewohner Laupheims, aber auch aus anderen jüdischen, ländlich geprägten Gemeinden hatte im 19. Jahrhundert eingesetzt. Dennoch war die jüdische Gemeinde in Laupheim noch bis 1869 stetig gewachsen und betrug in jenem Jahr 843 Personen. Die folgende Statistik weist dagegen einen deutlichen Rückgang auf: 1886: 570, 1900: 443; 1910: 348 und

1933: 235. Ziele der jüdischen Laupheimer waren zum einen größere deutsche Städte wie Ulm, München oder Stuttgart, die andere Lebens- und Arbeitsperspektiven boten, aber auch zum anderen die USA. Mit diesem Land war für die Auswanderer sicher die große Hoffnung auf persönliche und religiöse Freiheit sowie auf den amerikanischen Traum von Glück und Erfolg verbunden.

Diese Hoffnungen sollten sich für Isidor und Rosa Isay dort leider nicht erfüllen. Die Geburt ihrer Tochter Karoline Isay am 16. April 1891 in Pittsburg versprach es zwar, aber nur knapp zwei Monate danach starb Isidor Isay am 14. Juni 1891. Dieser schwere persönliche Schicksalsschlag dürfte letztlich zur Rückkehr der jungen Mutter mit ihrer sechs Monate alten Tochter, die stets Carry genannt wurde, nach Laupheim im Oktober 1891 geführt haben. Angehörige ihres Mannes lebten zwar in Pittsburg, aber sie zog es wohl doch vor, in die Heimat und zu ihren Verwandten zu ziehen. Rosa Isays Mutter lebte schließlich in Laupheim. Ab Oktober 1891 wohnten sie in der Kapellenstraße 59. Das Haus war vermutlich das Elternhaus von Peppi Bernheim, hatte also ursprünglich Leopold Bernheim und seiner Frau Esther, geb. Einstein, gehört. Neun der elf Geschwister Peppis waren bereits wenige Tage bzw. Wochen nach ihrer Geburt verstorben. Die beiden älteren Brüder hatten das Erwachsenenalter erreicht und geheiratet, sind aber beide nicht in Laupheim begraben, was vermuten lässt, dass sie ihren Heimatort verlassen haben dürften, so dass schließlich Peppi Bernheim das Elternhaus als Erbe zugefallen sein dürfte. Nach dem Tod von Peppi Bernheim erbte es Rosa Isay. Letztendlich ging das Haus nach deren Tod am 24. Juli 1939 in den Besitz ihrer Tochter Carry über.

Nur wenig ist über das Leben der Frauen in Laupheim bekannt. Carry Isay besuch- te die jüdische Volksschule in der Radstraße. Auf einem Klassenfoto mit dem Lehrer Haymann (folgende Seite), das aus dem Jahr 1904 oder 1905 stammt, ist sie in der zweiten Reihe von oben als zweite von rechts zu sehen. Es ist das einzig gesicherte Foto von ihr. Nach ihrer Schulzeit war sie wohl als Kontoristin tätig. Diese Berufsbezeichnung fand sich in den Akten des Stadtarchivs. Als Beruf der Mutter Rosa Isay wurde Arbeitslehrerin angegeben. Wo sie möglicherweise gearbeitet hat, ließ sich nicht ermitteln. In einem Interview, das Benigna Schönhagen mit Pfarrer Burkert am 8. März

1995 geführt hatte, erwähnte dieser, dass die Isays einst neben den Kirschbaumschwestern und Burkerts gegenüber wohnten. Carry habe im Haargeschäft der Bergmanns gearbeitet. Die Isays seien bei Burkerts ein und aus gegangen, sie hätten sie als Hausgenossen betrachtet. Das freundschaftliche Verhältnis der Burkerts zu ihrer jüdischen Nachbarschaft war bekannt und blieb in der Zeit nach 1933 ungebrochen bestehen. Nach dem Krieg war Rosa Burkert den Verwandten bei den Angelegenheiten für die Restitution als Bevollmächtigte behilflich.


Jüdische Volksschule 1904/05, v. l. Irma Kirschbaum,

Carry Isay, Lehrer Max Haymann.

 

Pfarrer Burkert berichtete, dass seine Schwester vor der Deportation im November 1941 in den Mantel von Carry Goldstücke, die von Freunden aus Amerika stammten, eingenäht hatte. Sie hätten ihr Schicksal geahnt und gemeint: „Mir kommet nimmer!“ Sehr traurig seien sie gewesen. In Anbetracht dessen, was sie an Ausgrenzung und Entrechtung seit 1933 am eigenen Leib erlebt hatten, mussten sie das Schlimmste befürchten. Nach dem Tod der Mutter bewohnte Carry Isay das Haus in der Kapellenstraße 59 allein, verkaufte es nicht, wurde aber im Oktober 1941 gezwungen, in die Wendelinsgrube umzusiedeln. Die Baracken in der Wendelinsgrube verfügten weder über eine elektrische Beleuchtung noch über Wasserleitungen. Neben den miserablen Wohnbedingungen litten die jüdischen Bewohner nach Augenzeugenberichten vor allem auch an Hunger. Ihr eigenes Haus wurde ab dem 15. Oktober 1941 an den Rentner Jakob Rieger vermietet.

Carry Isay wurde der ersten Deportation, die am 28. November 1941 nach Riga ging, zugeteilt. Auf dem abgedruckten Foto, das vom Abtransport am Laupheimer Westbahnhof gemacht wurde, könnte man aufgrund des Kinderfotos und der Ähnlichkeit mit der Statur der Mutter vermuten, dass es sich um Carry Isay handelt. Gemeint ist die Frau mit dem hellen Mantel über dem Arm neben dem Polizisten.



             

Deportationsfoto vom Laupheimer Westbahnhof, 20. Nov. 1941: Carry Isay (???).

 

Die als „Evakuierung in den Osten getarnte Deportation sollte den Betroffenen und den Zurückgebliebenen vorgaukeln, dass sie im Osten angesiedelt werden sollten. Über das Sammellager auf dem Stuttgarter Killesberg verließ am 1. Dezember 1941 der Zug mit 1013 Personen Stuttgart. Am 4. Dezember 1941 erreichte er seinen Bestimmungsort Riga. Mit Beschluss des Amtsgerichts Laupheim vom 25. Juni 1956 wurde Carry Isay für tot erklärt. Als Zeitpunkt ihres Todes wurde der 15. Dezember1941 festgelegt. Es ist anzunehmen, dass Carry wie ein Großteil der mit ihr Deportierten bei den Massenexekutionen kurz nach ihrer Ankunft ermordet worden ist.

Mit der Abschiebung in das Reichskommissariat Ostland fiel das Vermögen dieser Juden nach dem Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 dem Deutschen Reich zu. Das traf auch auf das Haus von Carry Isay in der Kapellenstraße 59 zu. Demnach flossen die erzielten Mieteinahmen in die Kasse des Deutschen Reiches. Nach 1945 bemühten sich Max, Louis, Adele und Albert Isay, die Geschwister von Isidor Isay, Carrys Vater, waren, um Klärung des Schicksals ihrer Nichte. Ihren Anstrengungen ist die Toderklärung seitens des Amtsgerichts, aber auch die Rückgabe des Hauses in der Kapellenstraße an die rechtmäßigen Erben 1953 zu verdanken. Diese ließen es schließlich vom Immobilienhändler Josef Benzinger verkaufen.

 

Literatur-, Quellen- und Bildnachweis:

Amtsgericht Laupheim GR 157/56.

Hecht, Cornelia/Köhlerschmidt, Antje: Die Deportation der Juden aus Laupheim. Laupheim 2004, S. 60. Interview von Frau Schönhagen mit Pfarrer Burkert vom 8.3.1995 (Museum zur Geschichte von Cristen und Juden, Schloss Großlaupheim).

Schenk, Georg: Die Juden in Laupheim. Aus: Laupheim 1976. S. 286 ff. Staatsarchiv Sigmaringen 126/2 FA BC 30.

Stadtachiv Laupheim F 9811-9899 Ia.

Stadtesamt Laupheim, Familienregisterband V, S.31 und S. 308.

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