Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung
Gedenkbuch Seiten 327 - 331
Tabakwaren, Kapellenstraße 33
HANS - GEORG EDELMANN
Siegfried Kurz, geb. am 1.4.1877 in Gailingen, gest. am 18.5.1939 in Laupheim, OO Laura Kurz, geb. Hirschfeld, geb. 26.9.1880 in Laupheim, ermordet am 5.12.1941 in Riga/Lettland.
– Rudolf Kurz, geb. 9.8.1904 in Laupheim, gest. 17.9.1999 in Leonia, NY/USA.
Schwager und Schwester von Siegfried Kurz:
Rubin Schwarz, geb. 2.5.1865 in Rexingen und Frau Melanie, geb. Kurz, geb. 26.1.1875 in Gailingen. Am 30.4.1938 aus Horb zugezogen, ermordet 1943/44 in Theresienstadt und Auschwitz.
Siegfried
Kurz,
der aus
Gailingen nach
Laupheim
kam und
hier 1903
Laura Hirschfeld
von der
Zigarrengroßhandlung
Leopold
Hirschfeld &
Co. heiratete,
übernahm
das
Geschäft
der
Schwiegereltern.
In
einem
Briefkopf aus
dem Jahre 1936
wird die
Firma
als
Siegfried
Kurz
Kommanditgesellschaft,
Generalvertretung der
ESKA
Tabakfabrikate
mit
Konten
auf dem
Postscheckamt
Stuttgart, der
Gewerbebank
und dem
Bankgeschäft
Otto Heumann, beide
in
Laupheim
genannt. Die
Familie
gehörte, nach
Aussagen des
Sohnes Rudolf,
„zur besseren
Gesellschaft“
in
Laupheim.
Siegfried
Kurz
diente als
überzeugter deutscher
Soldat im
Ersten
Weltkrieg
zunächst an
der
Elsassfront,
später im
Generalkommando
in Stuttgart.
Im
August
1936 wurde
ihm der
Pass
auf
Veranlassung
des Württembergischen
Politischen
Landespolizeiamts,
Außenstelle Ulm,
vom
Oberamt
Laupheim
in
geheimer
Mission entzogen.
Kurz
bat nach
einem
Jahr
untertänigst
um Rückgabe,
um seinen
schwerkranken Bruder
in Zürich
besuchen zu
können. Ob
er damit
Erfolg hatte,
ist unbekannt.
Die
Familie
besaß ein
Auto, einen
Opel P4,
der
auch
als
Geschäftswagen
diente, da
die
Geschäftsinhaber viel
auf Geschäftsreisen
unterwegs waren.
Es bestanden
zum
Beispiel Geschäftsbeziehungen
bis
nach
Mannheim. Die
Zigarrengroßhandlung
verkaufte alle Arten
von
Tabakwaren
und lieferte auch auf
Kommission.
Wie Zeitzeuge
Franz
Erhart aus Burgrieden
berichtete, habe
Kurz
seiner Mutter,
welche die
Bahnhofswirtschaft
in Orsenhausen
betrieb und damit
nur ein
kärgliches Einkommen
für
ihre
große
Familie
erwirtschaften konnte,
ihr
Nebeneinkünfte
aus dem
Verkauf
von
Tabakwaren
ermöglicht, indem
er ihr
ein
großes
Sortiment von
Waren
lieferte, aber
Zahlung erst
erwartete, wenn
sie die
Lieferung verkauft
hatte. Bemerkenswert
ist, dass
es 1925
in
Laupheim
26
Händler
gab,
die
zum Teil
auch als
Nebengeschäft
Tabakwaren
verkauften.
Das
Zigarrengeschäft
von Siegfried
Kurz
in der
Kapellenstraße,
aufgenommen beim
Landwirtschaftlichen
Bezirksfest
1930.
(Archiv
Theo
Miller)
Er
gehörte
zu den
17
jüdischen
Männern, die
in der
Nacht vom
8. auf
den 9.
November
1938 aus
ihren
Wohnungen
geholt und
am 10.
November
in das
KZ Dachau
verschleppt wurden.
Am 17.
12.
1938
wurde er
entlassen und
starb nach
Angaben
von
Sohn
Rudolf am
11.5.1939 an
den
Folgen
des
KZ-Aufenthaltes
in Laupheim.
Seine
Frau
Laura
Kurz,
geb.
Hirschfeld,
die er
am 26.10.1903
in
Laupheim
geheiratet
hatte, wurde
am 28.
11. 1941
unter dem
Deckmantel
„Umsiedlung
der Juden nach
Osten“
– amtlicher
Betreff: „Evakuierung
der Juden
nach dem
Reichskommissariat
Ostland“ vom
Westbahnhof
aus in
das
Sammellager
Killesberg in
Stuttgart
und von
dort mit
1013
Personen
in
Richtung Riga
deportiert. Sie
überlebte
nicht und
wurde
durch den
Beschluss
des
Amtsgerichts
Laupheim
vom 21.9.1994
für tot
erklärt: „Zeitpunkt
des
Todes:
5.12.1941,
24 Uhr.“
Siegfried
Kurz
hatte
eine
ältere
Schwester Melanie,
geb. am
16.1.1875 in
Gailingen.
Sie war
verheiratet mit
Rubin Schwarz
aus Rexingen,
geb. 2.5.1865,
und die
Familie lebte
in Horb.
Im April
1938 zogen
die beiden
nach
Laupheim,
zunächst
wohl zum
Bruder
in die
Kapellenstraße
33,
später
wurden sie
zwangs- umquartiert
in die
Wendelinsgrube
9. Am
19.8.1942
wurden
beide in
das KZ
Theresienstadt deportiert.
Rubin Schwarz
starb dort
am 20.2.1943,
Melanie Schwarz
wurde von
dort aus
am 16.5.1944
nach
Auschwitz transportiert,
selektiert
und ermordet.
Über Rudolf
Kurz,
das
einzige
Kind von
Siegfried
und Laura
Kurz, wissen
wir einiges
aus einem
Zeitzeugengespräch,
das
Frank
Häußler mit
dem 90jährigen
Rudolf
Kurz
im
Jahre
1994 in
den
USA führte.
Rudolf ist
in Laupheim
aufgewachsen und
machte eine
dreijährige
Lehre
in der Gewerbebank
Laupheim.
Vermittelt
durch
Geschäftsbeziehungen
in Mannheim
wechselte
er 1924
zur dortigen
Commerzbank.
Anschließend
arbeitete er
für kurze
Zeit im
Büro einer
Karlsruher
Metzgerei, zu
der er
private Beziehungen
über seine
Hausleute
in Mannheim
aufgenommen
hatte. Der
sich
verschlechternde
Gesundheitszustand
seines
Vaters
machte seinen
Eintritt in
das
elterliche
Geschäft notwendig,
in
dem
er
auch
zusammen mit
seinem
Vater,
größere Geschäftsreisen
in
Württemberg
und Baden
unternahm.
Am 6.
August
1937
heiratete
er seine
Kusine
Irma Bermann,
geb. Schwarz,
was nach
seinerzeitiger
Rechtslage nicht
erlaubt
war und
nur durch
Intervention
des
befreundeten
Stadtrats Völk
möglich wurde.
Irma
Kurz
wurde im
Oktober
1906 in
Horb
geboren und war
zunächst mit
Ferdinand
Bermann aus
Rottweil
verheiratet. Aus
dieser Ehe
ging eine
Tochter
Beate,
später Beatrice
genannt, hervor,
die am
18. 8.
1924
in
Pforzheim
geboren wurde.
Nachdem
Ferdinand
Bermann gestorben
war,
kam es
zur
Verheiratung
mit Rudolf
Kurz.
Dass
dieser
zur angesehenen
und wohlhabenden
Gesellschaft
im damaligen
Laupheim gehörte,
lässt sich
aus der
Mitgliedschaft im
Tennisklub
ersehen und seiner
Teilnahme
an einem Tanzkurs,
den die
Ulmer
Tanzschule Geiger
in
Laupheim
abhielt. Die von
Kurz
dem Zeitzeugen
Franz Erhart
vor seiner
Emigration geschenkte
Tanzstundenzeitung
des Tanzkurses
„Walzertraum“,
Abschlussball
am 19.7.1924,
die inhaltlich
humorig gestaltet und
schließlich
von der
Firma
A.
Berger schön gedruckt
wurde, dokumentiert
dies. Zwar
sind die
TeilnehmerInnen
nur mit
ihren
„Spitznamen“
genannt,
doch lässt
der Zusammenhang
unschwer auf den
Spitznamen „Schropper“
von Rudolf
Kurz schließen.
Es
findet
sich darin
auch folgendes
Gedicht:
„Der Schropper ist traurig ich glaub bald, er ist
und oft auch betrübt, in Staubs Lisbeth verliebt.“
(Elsbeth Staub war die Tochter des Gärtnermeisters Staub aus der Rabenstraße)
Rudolf
Kurz
sang im
Synagogenchor
und im
jüdischen
Gesangverein
Frohsinn unter
Kantor
Dworzan mit.
Außerdem
war
Kurz
in der
„Deutsch-Jüdischen
Jugendbewegung“
aktiv und
wurde deswegen
bereits im
August 1933
von der
Württ.
Politischen
Polizei
im Innenministerium
Stuttgart als
angeblicher
Leiter
einer jüdischen
Jugendherberge
in
Laupheim
verdächtigt
und postalisch
überwacht. Bürgermeisteramt,
Oberamtmann Alber
und das
Laupheimer
Stationslandjägerkorps
bestätigten aber
lediglich gelegentliche
finanzielle Hilfen
von
Kurz,
die dieser
durchreisenden
jüdischen
Jugendlichen
zukommen ließ.
Eine jüdische
Jugendherberge existiere
nicht. Die
Postüberwachung
wurde bereits
im Januar
1934 eingestellt.
Rudolf
Kurz
sah
sich
in
die Laupheimer
Gesellschaft integriert
und empfand noch im
Alter
Laupheim
als seine
Heimat. Seiner
Meinung nach
dachten auch
in Laupheim
vor 1933
viele Juden
deutsch-national
und
wurden
von dem
nazistischen
Judenhass
und der
schrecklichen
Judenverfolgung
total
überrascht.
Seine religiöse
Einstellung
bezeichnete er
als liberal.
Als Kind
sei er
regelmäßig
am Freitagabend
und
Sabbat in
die
Synagoge gegangen, als
Erwachsener nur
gelegentlich.
Ganz
wichtig
sei das
anschließende
Familienfestmahl
gewesen und
das Kartenspiel
im
„Ochsen“.
Am Sonntag
habe man
auch Spiele
der Olympia-
Fußballmannschaft
angesehen.
Kapellenstraße gegen Norden, rechts das Zigarrengeschäft Kurz. (Archiv Theo Miller)
Nach
seiner Heirat
zog Rudolf
Kurz
im August
1937
mit
Frau
und Kind nach Ulm,
arbeitete aber noch
in
Laupheim.
Im August
emigrierte die
Familie
mit Hilfe
des mit der
Familie
befreundeten Dr.
Otto Hirsch vom Palästinakomitee
über Luxemburg
mit
zunächst
nur 10
Reichsmark nach
Tel
Aviv,
wobei über das
Palästinakomitee
1000 engl.
Pfund
transferiert werden
konnten. Hier
war er
bei einer
Bank
damit beschäftigt,
unter deutschsprachigen
Juden
Kunden
zu
gewinnen.
1940 wanderte die
Familie,
nachdem eine Schweizer
Lebensversicherung
von Irma
Kurz
als Bürgschaft
anerkannt wurde, in die
USA aus.
Dort stieg
Kurz
mit dem Restvermögen
der
Familie
in eine
Süßwarenfabrikation, die
hauptsächlich von
Amerikanern finanziert
wurde, ein. Als
Tochter
Beatrice (Beate)
den Juden
Kurt
Adler
heiratete, der
den heute
noch existierenden
Importhandel für
deutschen
Weihnachtsschmuck
erfolgreich führt,
trat Rudolf
Kurz
1960 in
die
Firma
Kurt
Adler Comp. ein,
wo er
bis ins
hohe
Alter mitarbeitete.
Er
starb
mit 95
Jahren.
Rubin Schwarz, aus Rexingen stammender Onkel von Rudolf Kurz,
lebte mit Frau Melanie seit 1938 in Laupheim. 1941 wurden sie in die
Wendelinsgrube
zwangsumgesiedelt
und
1942 nach
Theresienstadt
deportiert.
(Staatsarchiv Sigmaringen
Wü 65/18,
T4)
Quellenangaben:
Lebenszeichen:
Juden aus
Württemberg nach
1933 hrsg.
von
Walter
Strauss, Geilingen,
Bleicher
1982. Zeitzeugeninterview
von
Frank
Häußler mit
Rudolf
Kurz,
New
York.
Zeitzeugeninterview von
Hans-Georg
Edelmann mit
Fritz
Erhart,
Burgrieden. Tanzstundenzeitschrift
vom 19.
Sept.
1924 Museum
für Christen
und Juden
in
Laupheim.
Diverse
Briefe des
Oberamts
Laupheim,
Kreisarchiv
Fotoarchiv.
Fotoarchiv
Theo
Miller.
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