Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung
Gedenkbuch Seite 159
Hedwig und Irma Einstein, SÄBEL, Heinz
Lehrer, Ulmer Straße 54
KARL
NEIDLINGER
Hedwig Einstein, geb. am 13.4.1879 in Laupheim, ledig, ermordet am 5.12.1941 in Riga.
Irma Einstein, geb. am 11.3.1888 in Laupheim, ledig, ermordet am 5.12.1941 in Riga.
- Eltern: Moritz und Pauline Einstein, gest. 1890 bzw. 1916.
– Geschwister: Theodor, geb. 1873, nach USA ausgewandert,
Mathilde, geb. 1875, verheiratet seit 1906 mit Sigmund Hohenemser, Haigerloch, emigriert nach USA.]
„Ich ging nach Hause . . . Während meiner Abwesenheit hatte die Gestapo eine Hausuntersuchung durchgeführt. Eine Kamera, einige Filme, einige Gemeinderatsprotokolle fehlten, aber der Schlüssel mit dem großen „S“ - der Schlüssel zur Synagoge – war noch vorhanden. Ich hielt ihn in meiner Hand, als meine zwei freundlichen Vermieterinnen, die Fräulein Einstein, alejhen haschalom, erzählten, dass kein einziger Ziegelstein von der Synagoge übrig geblieben war. Die Gemeinde musste selber die Kosten des Räumens und des Transportes zu einer Bauunternehmung in der Nachbarstadt Biberach tragen.“
Diese Zeilen stammen von Heinz Säbel (1912–1986), dem letzten Lehrer an der israelitischen Volksschule Laupheim, der 1939 nach Schweden emigrieren konnte. Nach fast vierwöchiger KZ-Haft in Dachau kehrte er im Dezember 1938 nach Hause zurück. Sein Laupheimer Zuhause war die Ulmer Straße 54: die „zwei freundlichen Vermieterinnen“ hießen Hedwig und Irma Einstein. Der obige Auszug aus seinem Vortrag „Ein Schlüssel erzählt“, in dem Säbel die Rückkehr aus Dachau beschreibt, liefert die einzige schriftliche Erinnerung, die zu den beiden vermutlich sehr zurückgezogen lebenden Schwestern gefunden werden konnte. Mündliche Überlieferungen zu Hedwig und Irma Einstein gibt es gar nicht, und ihr Haus in der Ulmer Straße ist schon lange einem Lebensmittel-Discounter gewichen. So ist dieses Gedenkbuch die letzte Möglichkeit, um diesen beiden vergessenen Shoa-Opfern ein Gesicht zu geben.
Vater
Moritz Einstein
verstarb
schon im
Jahr 1890,
zwei Jahre
nach der
Geburt seiner
Tochter
Irma.
Vermutlich betrieb er
einen
Viehhandel: Zu
seinem
zweistöckigen
Wohnhaus
Ulmer Straße
54
gehörten eine Scheuer
und
eine
Stallung.
Der älteste,
1873
geborene
Sohn Theodor
wanderte
schon in
jungen Jahren
in die
USA aus. Die älteste
Tochter
Mathilde verheiratete
sich 1906
nach Haigerloch und
konnte
in der
NS-Zeit
mit ihrer
Familie
noch rechtzeitig
in die
USA emigrieren. Die
beiden jüngeren Töchter
Hedwig und
Irma blieben
ledig, und es
ist unklar,
wovon sie
lebten.
Möglicherweise führten Angestellte
nach dem frühen
Tod
des Vaters den
Viehhandel
weiter.
In einer Liste von
1938
werden
die
Schwestern
als „Privatiers“ bezeichnet, sie
hatten in
ihrem
Haus Zimmer
vermietet, im
Jahr 1938
an Lehrer
Heinz Säbel
und den
Briefträger Georg
Habrik.
Israelitische
Volksschule
Laupheim
mit
Lehrer
Adolf
Gideon, ca.
1895.
(Foto:
Leo-Baeck-Institut,
NY)
Im Jahr
1940 oder
1941 wurden
die beiden
Schwestern, wie die
meisten
anderen noch in
Laupheim
verbliebenen Mitglieder der
jüdischen
Gemeinde, zwangsumquartiert:
Sie
wurden
gezwungen, ihr
geräumiges
Haus zu
verlassen
und in
die Baracken
in der
Wendelinsgrube umzuziehen, wo es
weder Strom
noch fließendes
Wasser
gab. Es
ist
nicht mehr zu
klären, ob
Hedwig
und Irma
Einstein in
der
Folge
noch
zu emigrieren
versuchten oder ob
derartige Bemühungen
scheiterten. Da
ein Teil ihrer
Verwandtschaft
– der
ältere
Bruder,
diverse Neffen
und
Nichten
–
sich
bereits
in den
USA befanden,
müsste die
Möglichkeit,
Affidavits zu bekommen,
zumindest
bestanden haben.
Seit
1.
November 1941,
noch bevor
die beiden
Schwestern der ersten
Deportation am 28.
November
1941
zugeteilt
wurden, vermietete
die
Stadt
ihre
Wohnung
in der Ulmer Straße
anderweitig.
Der
ersten Deportation
nach Riga/Lettland teilte
die
Gestapo vor allem jüngere, noch
arbeitsfähige
Personen
zu,
insgesamt 23
Laupheimer Bürger
im
Alter
zwischen 20 und 62
Jahren wurden
verschleppt. Die schon
62jährige Hedwig Einstein
stand zunächst
nicht auf
der
Liste,
aber die
jüngere
Schwester Irma sollte
„nach
dem
Osten evakuiert“
werden. Hedwig
wurde dann aber
nachträglich
anstelle
der
schwer
erkrankten Rosa
Wallach
eingeteilt. Die beiden Schwestern, die
ihr
ganzes
Leben
gemeinsam verbracht hatten,
mussten auch
den
Weg
in den
Tod gemeinsam
gehen. Schon
kurz nach
ihrer Ankunft
in dem Vernichtungslager
Jungfernhof bei Riga
wurden beide
bei Massenexekutionen ermordet.
Im
Zuge der
Restitution nach dem
Krieg erhoben
zunächst im
Jahr
1948 namentlich nicht
genannte Nichten
aus den
USA Anspruch
auf das
Haus
Ulmer Straße
54
„und
auf sechs
Bilder,
die
Schreinermeister
Kugler
herausgeben
soll“. Auch an
Hedwig
und Irma
Einsteins Hab
und Gut
hatten sich
offenbar andere
Personen
bereichert.
Dieser erste
Antrag blieb
erfolglos.
1950 beantragten
die
Brüder
Jakob und
Manfred
Hohenemser,
zwei Neffen
der
Schwestern
aus
Providence/USA,
erfolgreich die
Rückerstattung
des Hauses. Sie
verkauften
es 1952
an die
Hopfen- Steiner-Grundbesitzverwaltung,
der auch die
Nachbargrundstücke
gehörten. Manfred Hohenemser
sorgte im Jahr
1980 auch
dafür,
dass Hedwig
und Irma
Einstein
in der
Gedenkstätte
Yad
Vashem
als Opfer
des
Völkermords
registriert wurden.
Quellen:
1. Heinz
Säbel: Ein
Schlüssel erzählt.
Zwölfseitiger
Vortrag
anlässlich der 30sten
Wiederkehr der
Kristallnacht 1968.
Archiv Ernst
Schäll.
2. Restitutionsakten
Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 126/2,
Nr.
31.
3. Kopien der
Gedenkbätter Yad
Vashem:
John-Bergmann Nachlass, Stadtarchiv
Laupheim.
4. Adressbuch
der Stadt
Laupheim
1938.
5. Cornelia
Hecht/Antje Köhlerschmidt:
Die
Deportation der Juden aus
Laupheim.
Kommentierte Dokumentensammlung
2003.
voriges Kapitel | nächstes Kapitel |