Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung
Gedenkbuch Seite 429
Kapellenstraße 56
DR . UDO
BA
YER
/
BRIGITTE
SCHMIDT
[Karl Gustav Eppstein, geb. 14.6.1873 in Mühringen, gest. 16.5.1926 in Rottweil] OO Therese (Resl, später Razel oder Resa), geb. Obernauer, geb. 28.9.1887 in Laupheim, gest. 1985 in New York, USA.
– Ilse geb. 3.11.1913 in Rottweil,
– Gertrud (Trudl, später Trudy) Henriette , geb. 25.11.1920 in Rottweil, lebt in New York.
Therese Eppstein,
die
einzige
Schwester der
vier
Brüder Hugo,
Max,
Wilhelm
und Hermann Obernauer,
heiratete
Karl
Gustav Eppstein und
zog nach
Rottweil.
Das Paar hatte zwei
Töchter,
Ilse und
Gertrud, genannt
Trudl.
Karl
Gustav verstirbt
bereits
im
Alter
von 39
Jahren
und die
junge
Witwe zieht mit ihren beiden Töchtern
nach
Laupheim zurück
in ihr
Elternhaus.
Dort wohnt sie
im
Parterre, während
Bruder Hermann
Obernauer mit
seiner
Familie
im 1.
Stock wohnt.
Gemeinsam mit Schwägerin
Olga kümmert
sich Resl
um den
ausgesprochen
großen Garten, in
dem
alles
angebaut wurde,
was man
zur
Selbstversorgung
benötigte.
Ilse Eppstein ging
schon in den
zwanziger Jahren
nach
Frankreich in
eine
Familie,
um die französische
Sprache zu
lernen,
sie war
wohl auch
in England
in einem Haushalt und
sprach
deshalb auch
Englisch.
Sie
hatte
sich schon früh
um eine
Ausreise in
die
USA bemüht.
Sie erhielt
1937
ein
Affidavit von
Carl
Laemmle und
konnte noch
im
selben
Jahr ausreisen.
Mittellos
geht sie
zunächst
nach Washington
Hights im
Norden New
Yorks,
wo bereits viele jüdische
Emigranten aus Deutschland
leben und
das deswegen
auch den Beinamen „Frankfurt
on Hudson“
hatte. Es
gelingt ihr, als
Dienstmädchen bei der
Familie
des Sekretärs
des New
Yorker
Gouverneurs unterzukommen. Diese
Familie
leiht ihr
freundlicherweise
das benötigte
Geld, damit Schwester
Trudl
ebenfalls nach
Amerika
ausreisen kann.
Trudl
(jetzt
Trudy
gerufen)
wird zunächst
auch Dienstmädchen
im
Haushalt dieser
Familie.
Beide sparen
jeden Pfennig,
damit auch ihre Mutter
Nazideutschland verlassen
kann.
Schweren Herzens heißt
es
jetzt Abschied
nehmen. Zwei
Fotos
von Trudl
aus diesen
Tagen des
Abschieds
1938 befinden sich auf
der
nächsten
Seite.
Resl erlebt
in
Laupheim jedoch
noch die so
genannte
Reichskristallnacht.
Auch im Hause
Kapellenstraße
56 wird
am 9.
November
mitten in
der Nacht
an die Tür
geklopft. Resl wacht
auf und
ist geschockt.
Ihr Bruder
Hermann soll
sich anziehen
und
mitkommen.
Nachdem Resl
sich
gefasst
hat,
wagt
sie doch,
einen der
SA-Männer
an der
Jacke zu
fassen und
ihn zu
fragen:
„Was
macht ihr
denn da?“
Die
achtzehnjährige
Trudl
Eppstein unmittelbar
vor ihrer
Emigration
in die
USA
1938. Eine
seltene Momentaufnahme
rechts:
Trudl
Eppstein
verabschiedet sich von
zwei Bekannten
aus der
Steinerstraße,
Lina Dilger
(rechts) und
Pauline
Frank.
(Fotos:
Bilderkammer
Museum)
Resl kommt
im
Alter
von über fünfzig Jahren
in
die
Neue
Welt. Sie
und ihre
Töchter gründen
zusammen
mit einem
entfernten
Verwandten einen
gemeinsamen Haushalt, hauptsächlich um
die
Lebenshaltungskosten so
gering
wie
möglich zu halten.
Resl (jetzt Razel oder
Resa
genannt)
findet eine
Beschäftigung
als Fließbandarbeiterin in einer
Feuerzeugfabrik,
wo später
auch ihre
beiden Töchter
arbeiten.
Resl selbst tut sich
schwer
mit der
neuen Sprache,
rügt aber
Trudy,
sie würde zu
oft Englisch
sprechen,
eben auch
mit den
deutschen
Verwandten
und Freunden.
Trudy
macht dies
absichtlich,
so dass
manche
annehmen,
sie hätte bereits die
deutsche
Sprache vergessen,
was natürlich
nicht stimmte.
Selbst im hohen Alter bedauert
sie noch, dass
sie „nie
richtig
Englisch gelernt
habe, aber auch jetzt
nicht mehr gut Deutsch
spreche“. Im
Gegensatz zu
ihrer Schwester lernt sie die neue Sprache
so
nebenher,
über das
Zeitunglesen
und was sie so
aufschnappt.
Als Amerika in
den Krieg
eintritt, finden
alle drei
Frauen
ihr Auskommen in kriegswichtigen
Betrieben,
Trudl
z.
B.
arbeitet für
IBM an
einer
Lochkartenmaschine.
Anfang der
40er Jahre
heiratet Ilse. Ihr
Mann Irving produziert
Taschentücher,
später ziehen
sie nach
Queens, wo
sie einen
Taschentuchladen
eröffnen. Das
Paar hat
zwei
Kinder,
Peter
und Elaine.
Trudl
heiratet
ebenfalls. Ihr Mann,
Kurt
Fraenkel, stammt
wie sie
aus Deutschland.
Das Paar
bleibt
kinderlos. Kurt
verkauft
Textilien,
später noch
Grußkarten.
Trudy
Fraenkel,
geb.Eppstein,
mit ihrem
mittlerweile
verstorbenen Mann Kurt,
der aus
Biblis
stammte,
New York
1995.
(Foto:
Archiv
Dr.
Bayer)
Sie
ziehen
für drei
Jahre
nach Omaha,
eine
Gegend, die
sie
hasste.
Trudl
arbeitet in einem
Altersheim
und –
als Mitglied
einer jüdischen
Hilfsorganisation
– ehrenamtlich
in
einem
Gefängnis als
Betreuerin.
Sie
kehren
aus Omaha
zurück nach New York
City.
Trudl
und ihrem
Mann geht
es
wirtschaftlich
gut. Sie machen Reisen nach
Europa,
kommen
aber
nicht nach
Deutschland. Kurts
Familie
war Opfer der
Shoah geworden.
Trudl
allerdings war immer
an
Laupheim interessiert
und freute sich über
Neuigkeiten aus der
alten
Heimat, z.
B.
als
Familie
Udo Bayer die
Fraenkels
besuchte.
Wie sie ihnen
berichtete,
hatte sie
den
Grabstein
ihres
Vaters
in Rottweil restaurieren
lassen.
Heute lebt
Trudl
immer
noch in
New
York
City, 88 Jahre alt,
krank
und
mit
wenig guten Gefühlen,
wenn man
sie
heute
auf die
Ereignisse
vor
ihrer
Auswanderung anspricht. Nach
wie vor
findet
sie, dass die
Laupheimer
feige waren, nur zugeschaut
haben, wie ihre
Nachbarn
misshandelt und mit dem
Leben
bedroht wurden.
Sie will
nicht, dass großes Aufheben um
ihre
Person
gemacht wird
und wäre eigentlich
lieber nicht in
diesem
Buch
verewigt
worden.
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