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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

  Gedenkbuch 384 - 390

NÖRDLINGER, Benno,

Gasthof "Zum Ochsen", Kapellenstraße 23, Radstraße 4

 

KARL NEIDLINGER  

Benno Nördlinger, geb. 14.11.1895 in Laupheim, gest. 1979 in New York,  Sophie, geb. Sänger, geb. 3.4.1898 in Laupheim, gest. 1993 in Chicago. Mutter von Sophie Nördlinger: Sänger, Klara, geb. Einstein, geb. 8.4.1865 in Laupheim, gest. 15.10.1942 in New York.

Familie Nördlinger-Sänger im Juni 1938 auf der Treppe des Ochsen mit drei Gästen. Von links: unbekanntes Paar, Klara Sänger, Sophie Nördlinger, Sam Simon, Benno Nördlinger. Junge im Vordergrund: Neffe Fritz Bernheim. (Archiv Ernst Schäll)

Wie es bei einer alteingesessenen Wirtsfamilie am ehesten zu erwarten ist, gibt es von den Sängers und Nördlingers zahlreiche gute Fotos, vor allem dank Ernst Schälls Archiv. Weit weniger ergiebig sind die schriftlichen Quellen. Die Texte bei diesem Familienverband sind daher eher kurz und lassen viele Fragen offen, doch aussagekräftige Fotos können in den folgenden Aufsätzen einiges ausgleichen.

 

Der Gasthof „Zum Ochsen

Sophie Sänger war das einzige Kind von Albert und Klara Sänger, welche die jüdische Traditionswirtschaft „Zum Ochsen schon von Vater Benjamin Sänger übernommen hatten. Dieser hatte den Gasthof im Jahr 1860 gekauft, errichtet worden war das Gebäude schon um die Wende des 18./19. Jahrhunderts. Die bis zum heutigen Tag andauernde Nutzung als Gastronomiebetrieb hat inzwischen eine über 200jährige Geschichte, die zu entfalten hier nicht der Platz ist. Das Attribut „Rot“, das der Ochsen heute im Namen führt, ist allerdings nicht historisch. Es kam vermutlich erst dazu, als er Mitte der 80er Jahre des 20. Jh. nach einer denkmalgerechten Restaurierung wiedereröffnet wurde, nachdem das Gebäude nach längerem Leerstand zuvor beinahe der Spitzhacke zum Opfer gefallen wäre.

Auch in der Anzeige aus dem Purim-Heft von 1914 heißt er nur Ochsen“-Hotel. Die Anzeige nimmt etwas ironisch die Beengtheit und leichte Rückständigkeit des damaligen Gasthofs aufs Korn, denn es gab zu dem Zeitpunkt schon eine ganze Reihe besserer und größerer Hotels in der Stadt. Außerdem erfährt man, dass „saure Kutteln“ auch Spezialität und fester Bestandteil einer koscheren Küche sein konnten!

  

Spaßhafte Anzeige aus dem Purim-Heft des Gesangvereins

Frohsinn von 1914. Zu Purim, der jüdischen Fasnet, nahmen unbekannte

Autoren alljährlich das Stadtgeschehen ironisch aufs Korn.

(Aus: John-Bergmann-Nachlass, Stadtarchiv Laupheim)


 

Die Ochsen-Wirtsleute Klara und Albert Sänger mit Tochter Sophie

(Mitte) und zwei unbekannten Kindern, ca. 1914/15. Albert Sänger verstarb 1929.

(Archiv Ernst Schäll)

Nach John Bergmanns Erinnerungen hat der Ochsen trotz größer werdender Konkurrenz von seiner Beliebtheit als geselliger Treffpunkt nie etwas verloren. Er beschreibt die Situation in den 20er Jahren so:

 „Beträchtliche Zeit verbrachte man im ,Ochsen’, einer der beiden jüdischen Wirtschaften. Der Ochsen war das Haus zum Äußern großer und weniger großer Ideen, wo man mit anderen Juden zusammenkam, Karten spielte und viel beredete. Gewohnheitsmäßig trafen sich die Männer nach dem Mittagessen auf ihrem Weg zurück zur Arbeit im ,Ochsen bei einer Tasse Kaffee (schwarz, da der Ochsen sich streng an Kaschrut hielt), beim Kartenspiel, Poker, Sechsundsechzig, Gaigel oder Tarock und tiefschürfenden Diskussionen über lokale und nationale Angelegenheiten.“ (Bergmann-Chronik, S. 59, S. 63)

 

Benno Nördlinger

Das Elternhaus des letzten jüdischen Ochsen-Wirts steht auf derselben Seite der Kapellenstraße, neun Häuser weiter oben. Er war der älteste Sohn des Landwirts Ludwig Nördlinger und seiner Frau Pauline (Seite 394 ff.). Von 1905 bis 1911 besuchte er die Laupheimer Realschule und beendete sie mit der Mittleren Reife, damals „Einjähriges genannt. Danach machte er eine kaufmännische Lehre und als diese abgeschlossen war, schrieb man das Jahr 1914, der Erste Weltkrieg brach aus. Die patriotische Kriegsbegeisterung überschlug sich und erfasste auch den 19jährigen Benno: Im Herbst 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, so wie dreizehn weitere junge Mitglieder der jüdischen Gemeinde Laupheim es taten. Fast den ganzen Krieg machte er als Artillerist an vorderster Front mit, er wurde zum Unteroffizier befördert und erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen.

 Benno Nördlinger als Realschüler, 1911.

(Archiv Ernst Schäll)

Die abgedruckte Liste der 45 jüdischen Frontsoldaten Laupheims fand sich im John-Bergmann-Nachlass, leider ohne Quellenangabe. Sie stellt sicher eine Reaktion dar auf die sogenannte Judenzählung“ im kaiserlichen Heer 1917 und die antisemitische Hetze nach dem Krieg, die den patriotischen Beitrag der deutschen Juden herunterziehen wollte. Zählt man genauer nach, so ergeben sich eindrucksvolle Zahlen bei den Laupheimer Frontsoldaten die „nur“ in der Etappe eingesetzten, zumeist älteren Soldaten sind hier gar nicht berücksichtigt und sie zeigen, dass Benno Nördlinger kein Einzelfall war: Die Hälfte von ihnen, nämlich 23, wurden mit einem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Fast ein Drittel, 14 Personen, wurden zum Unteroffizier (10) oder Offizier (4) befördert. Das ging in der Regel nur mit entsprechender Bildung, eben dem „Einjährigen“, was erneut den überdurchschnittlichen Bildungsstand der jüdischen Bevölkerungsgruppe zeigt.

Wahrscheinlich Anfang 1926 heirateten Benno Nördlinger und Sophie Sänger. Benno wurde neuer Ochsenwirt. Das Ehepaar, das kinderlos bleiben sollte, wohnte wenige Häuser weiter in der Radstraße 4 zur Miete. Die auch heute noch offenkundige räumliche Enge des Ochsen und die Tatsache, dass zumindest zeitweise eine verwitwete Schwester Klara Sängers, Paula Seligmann, ebenfalls dort wohnte, werden die Gründe hierfür gewesen sein. Paula Seligmann verstarb im Januar 1939 in Stuttgart, wurde aber auf dem Laupheimer Friedhof bestattet.

Der Ochsen vor dem Ersten Weltkrieg.

(Archiv Ernst Schäll)

In den 1920er Jahren betrieb Benno Nördlinger zusammen mit Hugo Höchstetter einen Papiergroßhandel, über den aber nichts Näheres bekannt ist. Die Gastwirtschaft dürfte in dieser Zeit noch von den Schwiegereltern geführt worden sein, so dass dieser Großhandel sicher das wichtigere wirtschaftliche Standbein für die Nördlingers dargestellt haben dürfte.

 Jüdische Frontsoldaten

Name                         Feldtruppenteil           Letzter Dienstgrad   Auszeichnungen  Bemerkungen

 

 

 

NS-Zeit: Emigration, Neuanfang

Durch das Fehlen authentischer Berichte gerät dieses Kapitel recht kurz und beschränkt sich auf die äußeren Vorgänge. John Bergmann beschreibt, wie der Ochsen schon früh Ziel des SA-Terrors wurde. Nach einem gescheiterten NS-Putschversuch im Juli 1934 in Österreich wurden zahlreiche SA- oder SS-Mitglieder von dort ausgewiesen und fanden Aufnahme in Deutschland, unter anderem bei den Steiger-Werken in Burgrieden. Von dort kamen sie häufig auch nach Laupheim: 

Was unseren einheimischen Nazi-Einheiten an Brutalität und Teufelei fehlte, lernten sie schnell von ihren erfahrenen österreichischen Mitstreitern. Ihre Offiziere waren gern gesehene Gäste in den ,besseren Familien Laupheims. Schon 1934 wüteten diese Gangster gegen die Juden, besetzten zeitweise den Gasthof ,Ochsen und verursachten Schäden an vielen jüdischen Häusern und Geschäften.“ (Bergmann-Chronik S. 85)
 

In der Pogromnacht 1938 wurde auch Benno Nördlinger aus dem Haus gezerrt, gedemütigt und anschließend ins KZ Dachau verschleppt. Sein Rechtsanwalt, Ernst Moos aus Ulm, bemühte sich mit einem Schreiben an die Gestapo vom 23. 11. 1938, seine rasche Entlassung zu erreichen. Er argumentierte, der bereits eingeleitete Verkauf des Ochsenan die Schlossbrauerei könne nicht abgeschlossen werden, solange Nördlinger inhaftiert sei. Die Aus- wanderung der Familie sei schon vorbereitet und die Visumerteilung für die USA stehe unmittelbar bevor. Dann belegte er noch die Verdienste des Inhaftierten: Fast vier Jahre Kriegsdienst an vorderster Front, EK II und das Frontkämpferkreuz, langjährige Verdienste um die Sanitätskolonne Laupheim.

(Aus: J.-Bergmann-Nachlass, Reel 1, Box 2)

Am 14. Dezember 1938 wurde Nördlinger dann schließlich entlassen. Der Verkauf des Gasthofs an die Schlossbrauerei wurde dann offenbar doch nicht genehmigt, sondern ein Privatmann erhielt im Februar 1939 den Zuschlag. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, am 14. Aug. 1939, konnte die ganze Familie schließlich nach New York emigrieren. Auch die 74jährige Klara Sänger kam mit, wohl eine weise Entscheidung, die andere in dem Alter sich oft nicht mehr zutrauten und die sie vor weiteren Demütigungen und der Deportation bewahrt hat. Sie starb im Oktober 1942 in New York.

Sophie und Benno Nördlin- ger konnten sich in New York, obwohl sie alles verloren hatten, wieder eine neue Existenz aufbauen. Benno verstarb in New York 84jährig im Juni 1979, wie aus der Todesanzeige, die ver mutlich in der Zeitung Aufbau“ erschienen ist, zu entnehmen ist. Seine Frau Sophie überlebte ihn um viele Jahre. Sie starb 96jährig im November 1993 in einem Altersheim in Chicago, wohin sie 1990 umgezogen war, um näher bei ihrem Neffen, dem Architekten Fred Bernheim zu sein.

Ein Foto aus dem Jahr 1950: Julius und Helmut Steiner,

sitzend Benno Nördlinger, die Grandseigneurs

der zerstörten jüdischen Gemeinde Laupheim.

 

 

 

Quellen:

John- Bergmann- Nachlass, Stadtarchiv Laupheim, Köhlerschmidt/Hecht: Die Deportation der Juden aus Laupheim, John H. Bergmann: Die Bergmanns aus Laupheim.

 

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